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Das Jahr 1973 ist ein denkwürdiges Jahr für Devin Jones, der zu diesem Zeitpunkt gerade mal 21 Jahre alt ist. Es ist das Jahr, in dem eine junge Frau ihm das Herz bricht, das Jahr, in dem er eine Ahnung vom echten Leben mit seinen schönen und schlimmen Momenten bekommt - und vor allem das Jahr, in dem er als Saisonkraft im Vergnügungspark "Joyland" in North Carolina arbeitet. Neben schwindelerregenden Attraktionen, neuen Freunden, vielen Herausforderungen und unfassbar viel Arbeit birgt Joyland auch eines: Gefahr. Denn vor vielen Jahren wurde in dem Park eine junge Frau brutal ermordet. Der Mörder schnitt ihr in der Geisterbahn die Kehle durch, er wurde nie gefasst. Seitdem soll in der gruseligen Attraktion immer noch der Geist der jungen Frau umher spuken - behaupten jedenfalls die alten Hasen, die in Joyland arbeiten ...
"Joyland" ist Stephen Kings neuester Streich und hinterlässt beim Leser etwas gemischte Gefühle. Immer noch ist Stephen King ein wirklich guter Erzähler, der fantastisch unterhält und auch kleinste Begebenheiten fesselnd zu Papier bringt. Dies ist vor allem der Fall, wenn King die Horror-Pfade verlässt - und "Joyland" ist tatsächlich nicht dem Genre Horror zuzuordnen, trotz einiger Mystery-Elemente und der Geschichte um den gruseligen Mord in der Geisterbahn. Am ehesten noch schlägt der rund 350 Seiten umfassende Roman Krimi-Wege ein, zumindest gegen Ende.
Die meiste Zeit aber handelt "Joyland" schlicht von einem jungen Mann, der in einem denkwürdigen Sommer und Herbst seines Lebens Dinge erlebt, die ihn nachhaltig prägen - typisch King eben, der schon viele denkwürdige Sommer in den Herzen seiner Fans zu derart plastisch geschilderten Erlebnissen machte, dass man fast schon meinte, sie selbst aus erster Hand erlebt zu haben. Auch hier taucht man sehr tief ein in die reizvolle Atmosphäre der Südstaaten in den 1970ern und erlebt die Stimmung in Joyland so hautnah mit, dass man sich wünscht, selbst einmal dort zu arbeiten, und sei es auch nur für ein paar Tage. King lässt sich diesmal wirklich sehr viel Zeit, seine Geschichte zu entwickeln - etwas zu lang, denn "Joyland" wirkt auch mit 350 Seiten die meiste Zeit über wie eine Kurzgeschichte. Diese ist zwar unterhaltsam, aber in Hinsicht auf die Handlung auch etwas unnötig in die Länge gezogen und nicht wirklich neu.
Dabei besitzt das Buch viele großartige, ja fast magische Momente: Wenn Devin im Park zum ersten Mal in das Kostüm von Howie dem Hund, dem Wahrzeichen von Joyland, schlüpft und die Herzen der Kinder für sich gewinnt oder wenn er einem kleinen Mädchen das Leben rettet, liest sich das einfach wunderbar und man könnte ewig so weitermachen. Aber die eigentliche Handlung, die sich um den Mord und den Geist der jungen Frau in der Geisterbahn dreht, kommt zu kurz, als hätte King sie nur halbherzig zu Ende geschrieben, weil es eben einen spannenden Handlungsteil geben muss, der notgedrungen zu einem Showdown geführt werden muss.
Auch sonst wirkt "Joyland" fast schon bemüht unspektakulär. So ist man sich fast sicher, dass der alles entscheidende Teil der Story unbedingt in der wirklich gruseligen Geisterbahn, im "Horror House", stattfinden
muss, und rutscht schon vor gespannter Erwartung hin und her. Doch dann bleibt nur ein kurzer Blick hinter die Kulissen der schaurigen Attraktion vergönnt; die großartige Steilvorlage bleibt vollkommen ungenutzt, was dann doch ziemlich enttäuscht.
Nebenbei hat King noch einen Fehler in den Plot eingebaut, der wohl unbemerkt blieb und für die Handlung wichtig gewesen wäre - als am Ende des Buchs Devin jemanden dringend anrufen will, aber nicht kann, weil er die Nummer nicht hat und sie nicht im Telefonbuch steht, wird völlig außer Acht gelassen, dass Devin nur wenige Seiten zuvor ganz selbstverständlich mit der Person telefoniert hat.
Fazit: Insgesamt ist "Joyland" schön zu lesen - in die Geschichte eines Sommers vor der atmosphärisch-charmanten Kulisse des Parks mischen sich Coming of Age, ein bisschen Liebe und Tragik, Mystery und Krimi. Dennoch wirkt "Joyland" trotz ausgewachsener Romanlänge wie eine Kurzgeschichte ohne besondere Höhepunkte und ohne Tiefgang: unterhaltsam, aber eben auch nicht mehr. Daher vier Sterne, von denen einer der Tatsache geschuldet ist, dass Stephen King ein guter Unterhalter ist - die Story selbst ist in der Wertung nur drei Sterne wert.
Im Original ist der Roman übrigens in der bekannten Reihe "Hard Case Crime" erschienen, die sich mehr auf Krimi-Pulp und charmanten Schund konzentriert als auf komplexe Unterhaltung mit Gänsehautgarantie. Liest man das Buch mit diesem Anspruch, kann man "Joyland" auf jeden Fall mehr genießen.