über "Der Geschmack von Wasser, erschienen 2014 bei dtv, Reihe Hanser
Media-Mania.de: Emmi, "Der Geschmack von Wasser" ist dein erster Roman. Er handelt von Noria, einer ganz jungen Frau, die von ihrem Vater den Beruf des Teemeisters in einer sehr schwierigen Zeit lernt: Nach einer langen Periode der Kriege um Öl und Wasser und großen Verlusten von Land an die See aufgrund der globalen Erwärmung ist Wasser knapp und rationiert; die Welt besteht aus wenigen riesigen, von ihren Armeen kontrollierten Ländern. Noria lebt im ehemaligen Finnland, das zu einem Land gehört, welches von Skandinavien über den Ural bis nach China reicht.
Du beschreibst diese zukünftige Welt sehr detailliert und hast auch eine Phase zwischen unserer und Norias Zeit geschaffen. Wie entstand die Idee zu diesem Roman? Hast du recherchiert, um Norias Umgebung und ihr zeitgeschichtliches Umfeld realistischer wirken zu lassen?Emmi Itäranta: Ich habe diese Idee gewählt, weil ich mich für globale Erwärmung und Klimawandel interessierte, ebenso für die japanische Teekultur - zwei sehr verschiedene Dinge, über die ich unabhängig voneinander las, als ich mit dem Schreiben des Romans begann. Sie haben nichts miteinander zu tun, aber eines Tages wurden beide, Teezeremonie und Klimawandel, in meinem Kopf zu einem Bild. Ich sah eine junge Frau in einer zukünftigen Welt bei der Zubereitung von Tee in einer ganz traditionellen Weise, und Tee war nicht mehr das teure Luxusprodukt wie in der vergangenen Zeit, sondern das teure Luxusprodukt war frisches Trinkwasser.
Diese Welt interessierte mich wirklich, und ich war der Meinung, die Welt und die Geschichte bereits "in a nutshell" entwickelt zu haben. Ich wollte die Welt der Zukunft für den Leser so glaubwürdig wie möglich zu gestalten, also habe ich zu verschiedenen Teekulturen recherchiert. Und ich habe viel darüber recherchiert, welchen Einfluss der Klimawandel auf Süßwasservorräte hätte, und was passieren würde, wenn sich der Meeresspiegel deutlich anhöbe, sodass die Küsten überflutet würden. Ich versuchte, alles die künftige Geografie Betreffende richtig und akkurat darzustellen, und dann überlegte ich, welche Auswirkung es auf die Gesellschaft und die politische Machtstruktur hätte, wenn die Geografie und die Rohstoffressourcen so aussähen. Es war mir wichtig, dass der Leser alles glauben kann, auch, falls diese Welt niemals Wahrheit wird, was ich hoffe.
Media-Mania.de: Ich war überrascht, die traditionelle Teezeremonie Ostasiens in einem Science-Fiction-Roman zu finden. Was bedeutet diese Tradition für deinen Roman - abgesehen davon, dass in einer Welt mit Wasserknappheit eine Tasse exzellenten Tees noch kostbarer wäre als in den alten Zeiten? Würde eine solche Tradition Kraft spenden in einer Zeit der Not?Emmi Itäranta: Da bin ich nicht so sicher, weil mich es mich eher interessierte, die Verbindung zwischen Tradition und der Notwendigkeit zur Veränderung zu untersuchen. Denn Tradition kann zwar dazu dienen, unserem Leben eine Struktur zu geben, etwas, worauf man sich verlassen kann, etwas, auf das man zurückgreifen kann, wenn man unsicher ist. Aber es kann uns auch daran hindern, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen. Es geht darum, wie Noria erwachsen wird und lernt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, wozu gehört, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Traditionen einerseits und zum anderen der Verpflichtung, gegen diese Traditionen zu handeln. Ich habe mich also für das Spannungsfeld zwischen Tradition und Wandel interessiert.
Media-Mania.de: Freundschaft ist ein wichtiges Thema deines Romans. Noria fühlt sich gezwungen, die von ihrer Familie beschützte geheime Quelle ihrer besten Freundin Sanja zu zeigen, als deren kleine Schwester wegen des Wassermangels beinahe stirbt. Damit bricht Noria mit der Tradition, und, vielleicht noch schlimmer, sie bricht den ihrem Vater gegebenen Eid. Denkst du, es gibt Grenzen der Freundschaft und ebenso Grenzen, einen Eid einzuhalten? Noria ist ja in einer sehr schwierigen Situation.Emmi Itäranta: Ja, ich wollte sie einer schwierigen Situation aussetzen, weil wir, wie ich meine, in solch schwierigen Situationen, die uns schwere Entscheidungen abfordern, zeigt sich, woraus wir gemacht sind, was wir für die Leute, die uns lieb sind, zu tun bereit sind - und andererseits, wo die Grenzen sind, die wir nicht anrühren wollen.
Ich brauchte in dem Buch einen Charakter, der Noria so viel bedeutetet, dass sie bereit war, die Tradition infrage zu stellen, das, was ihre Eltern gewollt hätten, sogar ihre eigene Sicherheit; dass sie fast alles für diesen anderen Menschen riskiert hätte, und ihre beste Freundin wurde in der Geschichte zu dieser Person. Ich wollte ihr keine echte Wahlmöglichkeit lassen aufgrund der Regeln der Erzählkunst - und auch wenn ich über die wirkliche Welt nachdenke, ist es vernünftiger, wenn Figuren schwierigen Entscheidungen gegenüberstehen, bei denen es kein offensichtliches Richtig oder Falsch gibt.
Media-Mania.de: "Der Geschmack von Wasser" ist ein Jugendbuch. So soll es sicher unterhalten, aber auch Ideen und Werte vermitteln - von einigen haben wir bereits gehört. Gibt es weitere?Emmi Itäranta: In Deutschland ist es als Jugendbuch erschienen, aber in Finnland wurde es ursprünglich als Erwachsenenroman publiziert, und in den USA ist es, glaube ich, ein Crossover. So scheint es abhängig von Land, Kultur, Verlag und vorgesehener Zielgruppe eingeordnet zu werden. Das finde ich interessant, weil es bedeutet, dass es etwas für alle Menschen enthält, unabhängig vom Alter. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die in allgemeingültiger Weise Resonanz erzeugt, und unter anderem aus diesem Grund interessierte ich mich für das "Coming of age" als Thema. Denn es ist individuell, für jeden ganz anders, sehr subjektiv. Aber es gehört auch zu den allgemein geteilten Erfahrungen: Jeder wird erwachsen, außer er stirbt früh oder Ähnliches, aber es ist eine Erfahrung, mit der wir alle vertraut sind. So etwas wollte ich für diese Geschichte finden. Und ja, ich wollte den Lesern vielleicht einige Werte vermitteln oder sie Dinge hinterfragen lassen, die sie für selbstverständlich hielten, aber ich glaube nicht, dass dies mit dem Alter der Leser verknüpft ist. Ich glaube, jeder, unabhängig vom Alter, ist dazu der Lage, und wir werden alle unser Leben hindurch mit Situationen konfrontiert, in denen wir das scheinbar Selbstverständliche infrage stellen müssen.
Media-Mania.de: Der deutsche Titel deines Romans, "Der Geschmack von Wasser", unterscheidet sich vom Original, "Teemestarin Kirja" ("Das Buch des Teemeisters"). Den englischen kenne ich nicht …Emmi Itäranta: Er lautet "Memory of Water". In Estland heißt es "Wasser erinnert sich". Ich glaube, der arabische Titel ist "Wächter des Wassers" oder "Beobachter des Wassers". So scheint jede Übersetzung mit einem etwas unterschiedlichen Titel und einer geringfügig anderen Betonung dessen einherzugehen, was für wichtig gehalten wird.
Media-Mania.de: Dein Roman wurde sehr schnell zu einem internationalen Erfolg, was für einen Erstlingsroman eher ungewöhnlich ist. Was, glaubst du, macht ihn zu etwas so Besonderem?Emmi Itäranta: Das weiß ich nicht, und ich habe nie erwartet, dass so etwas geschehen würde. Als ich daran schrieb, dachte ich, dass ich schon Glück hätte, wenn es überhaupt jemand herausgeben würde, bloß ein paar hundert Exemplare. So kam alles, was damit passierte, völlig unerwartet. Wenn ich etwas finden soll, das erklärt, warum das Buch bei Lesern und Verlegern in so vielen Ländern Anklang findet, dürfte es die Geschichte vom Erwachsenwerden sein, auf die ich schon eingegangen bin, das "Coming of age", weil es eine Erfahrung ist, die letztlich in allen Ländern der Erde mehr oder weniger ähnlich ist. Andererseits hat möglicherweise auch geholfen, dass es sich um einen dystopischen Roman handelt, was in den letzten Jahren besonders bei Büchern für junge Erwachsene ein bisschen zum Trend geworden ist. Aber statt eine Art action-betonter Dystopie wie "Die Tribute von Panem" und "Die Bestimmung" zu sein, bringt es eine ruhigere, nachdenklichere, lyrische Eigenschaft. Es ist eine etwas andere Art des dystopischen Romans.
Media-Mania.de: Dein Roman wird unter "Finnish Weird" eingeordnet. Bist du einverstanden?Emmi Itäranta: Absolut. Ich denke, der Begriff "Finnish Weird" wird sehr großzügig verwendet. Meiner Meinung nach ist er für alle Arten finnischer Belletristik gedacht, die aus der Definition für realistische Erzählliteratur herausfallen. Daher passt er hinein. Natürlich unterscheidet sich Finnish Weird sehr von dem, was wir im Englischen als "New Weird" verstehen. Aber es ist ein Label, das funktioniert.
Media-Mania.de: Ist ein neues Werk in Arbeit?Emmi Itäranta: Ja. Es ist kein Folgeroman, mit diesem Buch hat es überhaupt nichts zu tun. Es spielt in einer völlig anderen Welt. Aber es gibt ein paar Gemeinsamkeiten, denn in diesem Buch habe ich eine junge Hauptfigur, die ein Geheimnis versteckt, weil sie die Wasserquelle schützen muss. Im zweiten Roman, der nun in Arbeit ist, habe ich eine junge Protagonistin, die auf einer Insel lebt, wo das Träumen verboten ist, aber sie ist eine Träumerin. So verbirgt auch sie ein Geheimnis, sie muss vor dem Rest der Leute verstecken, wer sie wirklich ist, weil das Träumen in ihrer Gesellschaft als Tabu gilt. Auch das Thema Wasser kommt im zweiten Roman vor, aber es gibt dort zu viel davon, weil die Insel ständig überschwemmt wird.
Media-Mania.de: Besten Dank für das Interview und viel Erfolg auch für deinen zweiten Roman!Das Interview wurde während der Frankfurter Buchmesse 2014 auf Englisch geführt. Übersetzung: Regina Károlyi
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