Media-Mania.de: Liebe Frau Beer, gleich zu Anfang eine Doppelfrage, die Sie vermutlich häufig gestellt bekommen: Wie fanden Sie zum "Setting" Ihres Kriminalromans "Der zweite Reiter", der ja im Wien des Jahres 1919 angesiedelt ist, im tiefen Elend unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg? Und was führte Sie dann zu den unmittelbaren Themen, mit denen sich der Protagonist, Polizeiagent August Emmerich, konfrontiert sieht: dem ausufernden Schwarzhandel und den Traumata der aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten?Alex Beer: Mir wurde öfters mal gesagt, dass meine Sprache altmodisch angehaucht sei, darum kam von meinem Literaturagenten der Vorschlag, aus der Not doch eine Tugend zu machen und mich an einem historischen Stoff zu versuchen. Ich fand die Idee super und habe mir verschiedene Epochen in der Geschichte Österreichs angeschaut. Dabei bin ich auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gestoßen und war sofort fasziniert davon. Normalerweise kennt man Wien als eine saubere, moderne Stadt, die jedes Jahr aufs Neue zu einem der lebenswertesten Orte der Welt gewählt wird. Die Vorstellung, dass es vor weniger als hundert Jahren ganz anders war, schmutzig, heruntergekommen und von Seuchen geplagt, fand ich sehr spannend. Es war eine Zeit der Extreme, zwischen bitterer Not, politischen Unruhen und wildem Nachtleben – der perfekte Hintergrund für einen Krimi.
Die unmittelbaren Themen ergaben sich dann durch die Recherche. Ich habe mich gefragt: "Welche Angelegenheiten beschäftigten die Menschen damals? Wovon war ihr Alltag geprägt? Worum drehte sich der Klatsch und Tratsch?“ Durch das Lesen von Zeitzeugenberichten, Sozialreportagen und Tageszeitungen ergab sich dann ein recht klares Bild.
Media-Mania.de: Wie ist es Ihnen gelungen, sich so gut in diese Zeit hineinzuversetzen? Sie ermöglichen Ihren Lesern und Hörern eine regelrechte kleine Zeitreise. Die Menschen, die Orte, die Tätigkeiten, die alltäglichen Probleme, die Stimmungen: alles wirkt so verblüffend authentisch. Kann allein eine gute Recherche das bewirken? Alex Beer: Ich habe viele Wochen in der Nationalbibliothek verbracht, um dort alte Berichte zu studieren und sämtliche Bücher über die damalige Zeit zu lesen, die verfügbar waren. Die Sozialreportagen von Max Winter und Emil Kläger waren z.B. sehr hilfreich, genauso wie die Romane von Hugo Bettauer und Joseph Roth. Die beste Quelle waren aber die vielen Zeitungen und Magazine, die durch das Projekt
ANNO digitalisiert wurden und nun online frei abrufbar sind.
Media-Mania.de: Ihr Protagonist und sein Mitarbeiter Winter sind so wunderbar plastisch gezeichnet. Gab es zeitgenössische oder in Archiven entdeckte Vorlagen für diese Personen – und wenn nicht, wie haben Sie es geschafft, sie in dieser überzeugenden Weise zu erfinden? Alex Beer: Für Emmerich und Winter gibt es keine Vorlage – sie sind völlig frei erfunden. Die beiden repräsentieren die zwei Welten, die in jener Zeit aufeinandergeprallt sind, und deren jeweilige Themen. Die Arbeiterschaft (Emmerich) hungerte und fror, doch sie hatte durch den Zusammenbruch der Monarchie das erste Mal ein Wahlrecht und die Chance, die Zukunft nach ihren Vorstellungen mitzugestalten. Der ehemaligen Adel (Winter) war zwar materiell besser gestellt, jedoch machte der Verlust seiner Privilegien und Titel ihm emotional stark zu schaffen.
Media-Mania.de: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Sprecher für die Hörbuchausgabe, Cornelius Obonya? Ich habe Ihren Roman in der Hörbuchform kennen gelernt und hatte den Eindruck, dass Obonya ganz in der Geschichte und den Figuren aufging. Alex Beer: Das Team von Random House Audio hat da ganze Arbeit geleistet und den Text für die Hörbuchversion ganz wunderbar bearbeitet. Cornelius Obonya hat sich dann eingelesen und seine eigenen Nachforschungen angestellt, um der Zeit und den Charakteren näher zu kommen.
Media-Mania.de: Sie sind studierte Archäologin und Betriebswirtin; "Der zweite Reiter" ist Ihr erster Roman. Wie kamen Sie zum kreativen Schreiben und speziell zum Krimi? Alex Beer: Meine Liebe zum Krimi reicht weit zurück bis in meine Kindheit. Schon damals habe ich am liebsten "Fünf Freunde“, "ABC für Mini-Detektive“ u.Ä. gelesen und bin danach recht früh zu den Klassikern des Genres gewechselt (Agatha Christie, Sir Arthur Conan Doyle, Edgar Allan Poe ...). Irgendwann entstand dann die Idee, selber einen Krimi zu schreiben, und wie heißt es so schön? Der Rest ist Geschichte (im wahrsten Sinne des Wortes).
Media-Mania.de: Welche literarischen Präferenzen haben Sie – und, wenn die Frage nicht zu dreist ist: welche Vorbilder? Alex Beer: Ich lese hauptsächlich Krimis und Thriller, historische Romane und Sachbücher. Hie und da schmuggeln sich aber auch Klassiker der Weltliteratur in meinen Lesestapel (v. a. russische Autoren). Vorbilder gibt es viele. Ich bewundere z. B. Don Winslow für seine atmosphärische Dichte, George R. R. Martin für seine ausgeklügelten Plots und Daniel Cole für sein Erzähltempo. Ich liebe Gillian Flynns abgründige Charaktere, Ian Rankins Coolness und Andreas Pflügers Perfektion ... (ich könnte stundenlang so weitermachen).
Media-Mania.de: Ein paar Stichworte zu: Alex Beer privat … Denn da dürften Mord und Totschlag nicht an erster Stelle stehen! Alex Beer: Mein Privatleben ist recht unspektakulär. Die meiste Zeit verbringe ich mit Schreiben und Lesen. Ansonsten habe ich ein großes Faible für TV-Serien (Game of Thrones, Vikings, Peaky Blinders, Sons of Anarchy, Sherlock, ...), Kino und Bier. Hie und da schleppe ich mich ins Fitnessstudio (jeder Vorwand nicht hinzugehen ist herzlich willkommen).
Media-Mania.de: Dürfen Sie uns bereits etwas zum Inhalt des Nachfolgebandes verraten?Alex Beer: Der Nachfolgeband wird den Titel „Die rote Frau“ tragen. Die Handlung ist im März 1920 angesiedelt (knapp vier Monate nach den Ereignissen des ersten Teils). Ein Generalstreik in Deutschland bringt die österreichische Wirtschaft zum Stillstand, Nahrung und Kohle sind knapp wie nie und es kommt zu politischen Unruhen. Mitten in diesem Chaos wird ein beliebter Stadtrat ermordet. Der mutmaßliche Täter, ein Kriegsinvalide, ist schnell ermittelt, und der Fall gilt als gelöst. Einzig Emmerich glaubt nicht an dessen Schuld ... Wir erfahren auch, wie es mit Luise weitergeht, und natürlich ist auch Winter wieder mit an Bord. :-)
Media-Mania.de: Media-Mania.de bedankt sich ganz herzlich für das Interview und wünscht Ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg!Das Interview wurde per E-Mail geführt.
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Rezension bei Media-Mania.de – die Rezension bezieht sich auf die Hörbuchversion; das Buch ist natürlich auch in gedruckter Form erhältlich: zurzeit (Herbst 2017) als
Hardcover und e-Book.
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