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Der systemtreue Geheimdienstoffizier Leo Demidow hat bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Aufgewachsen in Moskau, dient er seinem Land im großen vaterländischen Krieg im NKWD hinter den feindlichen Linien. Nach dem Krieg setzt er seinen steilen Aufstieg im sowjetischen Geheimdienst MGB weiter fort. Er hat die ärmlichen Verhältnisse seiner Kindheit hinter sich gelassen und ermöglicht sich, seiner Frau und seinen Eltern ein Leben in bescheidenem Wohlstand. Doch er hat nicht nur Gönner um sich geschart. Sein persönlicher Widersacher im Staatsapparat, Wassili, hat Gefallen daran gefunden, permanent gegen Leo zu intrigieren. Nachdem Demidow sich in den Augen seiner Vorgesetzten als nicht ausreichend loyal erwiesen hat, wird er in die tiefste Provinz versetzt, degradiert und muss fortan in der Miliz dienen. Hier, weit entfernt von den Intrigen in Moskau, stößt Leo abermals auf erschreckende Vorkommnisse. Augenscheinlich reist ein Serienmörder durch die Sowjetunion und hinterlässt eine blutige Spur, die durch die Behörden geflissentlich vertuscht wird. Denn Mord kann es in einer perfekten Gesellschaft nicht geben ...
Bei "Kind 44" handelt es sich in vielerlei Hinsicht nicht um einen klassischen Krimi. Der Autor verwendet viel Zeit auf die Charakterbeschreibung, sowohl des Protagonisten als auch sämtlicher Nebenfiguren. Und davon begegnen dem Leser nicht gerade wenige. Speziell am Anfang können die vielen ähnlich klingenden Namen den Leser zunehmend verwirren, da sich die Handlung zu diesem Zeitpunkt auch nur schemenhaft ausmachen lässt. Jedoch steigert Smith mit fortschreitender Seitenzahl das Erzähltempo und die Anzahl der Probleme, die sein Antiheld Leo Demidow zu bewältigen hat. Ganz bewusst verlegt er beim Erzählen gelegentlich den Schwerpunkt weg von der Kernhandlung in die Nebenschauplätze, schildert Lebensumstände und die Mentalität der Fünfzigerjahre in der Sowjetunion. Hier scheiden sich die Geister, doch ebendiese erzählerische Freiheit gibt dem Buch ein besonderes Flair und lädt zum mehrmaligen Lesen ein. Denn sobald das Geheimnis hinter den Kindsmorden einmal gelüftet ist, entbehrt der Roman jeglicher Spannung, nicht jedoch seiner Dramatik. In einem fesselnden Showdown inszeniert der Autor das Aufeinandertreffen der vermeintlichen Rivalen. Doch nachdem diese Spannung verflogen ist, rauft man sich als Leser die Haare und eine Menge Ungereimtheiten, logische Brüche oder allzu kreative Ideen treten zutage. Zweifelsohne ist "Kind 44" ein packender Roman, atmosphärisch dicht erzählt und ausgesprochen fesselnd - doch rückblickend erscheint einem der Protagonist als zu gewitzt. Keine brenzlige Situation, die Leo Dimidow nicht irgendwie meistert. Hier bleibt ein leicht bitterer Nachgeschmack.
Das Ende des Romans wirkt wiederum etwas inszeniert, bietet aber noch einmal eine richtige Überraschung.
Das Buch erscheint in der lokalisierten Fassung als solides Hardcover mit Lesebändchen und Schutzumschlag. Nachdem man das Buch gelesen hat, entdeckt man auf dem Cover viele Ãœbereinstimmungen mit der Handlung.
Tom Rob Smith liefert mit "Kind 44" einen sehr lesenswerten Roman, den man irgendwo zwischen Krimi und Polit-Thriller einordnen kann. Er orientiert sich grob an den tatsächlichen Ereignissen rund um den Serienmörder Andrej Romanowitsch Tschikatilo, siedelt seine Handlung aber in der Stalin-Ära an. Hierdurch ergeben sich viele erzählerische Perspektiven und Möglichkeiten, die der Autor jedoch nur zum Teil nutzt. Trotzdem erhält der Leser viele Einblicke in die damaligen Gegebenheiten - und nicht zuletzt dieser Umstand trägt ganz erheblich zur Spannung bei.