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Kämpft man im eigenen Leben gegen bestehende Strukturen und Obrigkeiten, oder ist man wie Kassandra, welche die Wahrheit spricht, die aber niemand hören will? Ist man ein Heiler oder eine Magierin oder befindet man sich in seinem Leben auf zahlreichen Irrfahrten, wie Odysseus, bis man endlich die Heimat erreicht? - Mythen scheinen in jedem Leben auf und um diese Mythen im Leben eines jeden Einzelnen geht es in dem neuen Buch von Lutz von Werder.
Ein Mythos ist etwas Zeitloses, immer Wiederkehrendes, etwas Uraltes, dessen Muster sich auch in der Gegenwart im Leben eines jeden Menschen widerspiegelt. Manche sprechen auch von sogenannten Heldenreisen, die sich in einer typischen Situationsabfolge vollzieht : Geburt - Aufbruch - Abenteuer - Rückkehr - Tod. Der Anthropologe und Mythenforscher Joseph Campbell hat diese Heldenfahrten ausführlich erforscht und dokumentiert. Heldenreisen liefern den Stoff für zahlreiche Romane und Filme, beispielsweise "Star Wars" von George Lucas; sie bilden aber auch den Ausgangspunkt für Therapien sowie psychologische und initiatorische Trainings.
Lutz von Werder lädt die Leser ein, den Weg ihres Alltagshelden oder ihrer -heldin zu entdecken. Das zweihundertsechzig Seiten starke Softcover-Buch ist 2009 im Schibri-Verlag erschienen und ergänzt ideal Lutz von Werders vorhergehendes Buch "Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten", in dem es um das Schreiben der eigenen Biografie geht.
Nach einer Einleitung mit einem Abriss der Geschichte der Mythologie hat der Autor das Buch in zwei Teile gegliedert. Zunächst geht es um das "Wie", also die Grundlagen und Methoden des Schreibens der persönlichen Mythologie. Heldentypen sind etwa der Krieger, der Magier oder der Narr, diese vermischen sich und verändern sich im Laufe eines Lebens. Ein ganzer Abschnitt beschäftigt sich dann mit dem Motiv des "leidenden" Helden. Anschließend werden persönliche Mythologien bekannter Persönlichkeiten vorgestellt, darunter befinden sich die Mythologien von Friedrich Nietzsche, Mircea Eliade und Ernst Bloch. Der zweite Teil schildert dann die persönliche Mythologie eines 67-jährigen Lehrers, welche dieser in einem zweijährigen Schreibworkshop verfasste. Ein Anhang enthält Anmerkungen, ein Glossar der Mythologie und ein Literaturverzeichnis.
Lutz von Werder hat sich sehr ausführlich und intensiv mit dem Thema Mythologie beschäftigt. Hierzu hat er die Werke bekannter Mythologien, etwa die germanische, griechische oder ägyptische Mythologie, und berühmter Mythenforscher, wie Joseph Campbell, Mircea Eliade und Claude Levi-Strauss, studiert und in das vorliegende Buch einfließen lassen. Sowohl die Edda als auch das Gilgamesch-Epos oder die Odyssee sind ihm wohl vertraut.
Er vermittelt dem Leser sein umfangreiches Wissen zum Thema, stellt es in einen aktuellen Kontext und betont den Nutzen und Wert, den die alten Mythen für das heutige Leben haben. Dieses ergänzt er durch zahlreiche Übungen und Fragestellungen, die allerdings zum Teil sehr anspruchsvoll sind. Bei der einen und anderen Übung würde man sich ein Beispiel oder zusätzliche Orientierung wünschen. Gut, wenn man sich schon vorher mit Mythologie, Philosophie, Psychologie oder Theologie auseinadergesetzt hat und es gewohnt ist, sein Innenleben zu reflektieren. Aber auch Märchen oder Träume bieten einen guten Zugang. Sonst kann man auf die Literaturhinweise des Autors zurückgreifen und sein Allgemeinwissen über Mythologie etwas auffrischen. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Theorie und Praxis und bietet eine Menge Ansatzpunkte für die Reflexion des Innen- und Außenlebens.
Sehr interessant ist auch Lutz von Werders Analyse der Mythologien historischer Persönlichkeiten. Der Autor stellt die Mythologien bekannter Ärzte, Philosophen oder Autoren vor und zeigt auf, welcher Mythos sich in deren Leben wiederfindet. So scheinen Moses bei dem Autor Albert Camus und Buddha bei der Psychiaterin Karen Horney durch. Hier kann man sich auch wertvolle Hinweise für die Arbeit an der eigenen Mythologie holen und es gelingt besser, grundlegende Muster in der eigenen Lebensgeschichte aufzudecken. Einzig die Frauen kommen bei den Beispielen ein wenig zu kurz, ganze drei weibliche von zwölf Mythologien werden erkundet - die haben den Autor als Mann wohl nicht so interessiert.
Das empfehlenswerte Buch ist für jeden interessant, der sich mit seinem eigenen Leben aktiv auseinandersetzen und beherrschende Grundmuster und Motive erkennen und damit seinem Leben mehr Sinn und Tiefe vermitteln möchte. Das eigene Leben verstehen heißt auch, es besser zu beherrschen, nicht nur im individuellen, sondern auch im gesellschaftlichen Kontext. Hier bietet Lutz von Werder reichen Stoff zur Anregung und Motivation.