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Nachdem Tom Rob Smith mit „Kind 44“ einen Erstling vorlegte, der weltweit die Leser fesselte, erschien nun der Nachfolger „Kolyma“, dessen Handlung einige Monate nach „Kind 44“ angesiedelt ist.
Leo Demidow hat sein Leben als MGB-Agent hinter sich gelassen: mittlerweile führt er eine harmonische Ehe mit seiner Frau Raisa, die Adoptivkinder scheinen glücklich zu sein und Leo geht in seiner Arbeit als Leiter des Moskauer Morddezernats auf. Doch der Schein trügt, denn das ältere der beiden Kinder, Soja, sieht in Leo nicht den fürsorglichen Vormund, sondern stattdessen den Mörder ihrer geliebten Familie. Als sich die Gelegenheit bietet, ergreift sie die Flucht, um der trügerischen Idylle zu entkommen, und schlägt sich auf die Seite der kriminellen Frajera. Diese wiederum hat eine alte Rechnung mit Leo zu begleichen, denn er war es, der als MGB-Agent dafür sorgte, dass sie und ihr Mann in ein Gulag verbannt wurden. Ihr perfider Racheplan sieht vor, den geläuterten Staatsdiener das erteilte Leid vielfach zurückzuzahlen. Um seine Familie zu retten, lässt sich Leo auf den Deal ein und tritt die beschwerliche Reise ins Gulag Kolyma an …
Schon bei „Kind 44“ hat der Autor unter Beweis gestellt, dass er ein Händchen für die Symbiose von Wirklichkeit und Fiktion besitzt. Hier trafen eine wahnsinnig spannende Geschichte und die detailreiche Schilderung der Lebensumstände in der Sowjetunion kurz nach dem Krieg zusammen und ergaben eine lesenswerte Geschichte, die den Leser fesselte und nachhaltig beschäftigte. Auch bei „Kolyma“ bringt Smith seine Geschichtskenntnisse wieder gewinnbringend ein, nur eine spannende Geschichte sucht der Leser vergebens. Was anfangs noch halbwegs dynamisch und spannend beginnt, langweilt den Leser zunehmend und gipfelt in konstruierten und nicht nachvollziehbaren Entwicklungen. Die Motive der Protagonisten bleiben zumeist im Dunkeln, das Handeln von Leo und seinen Gegenspielern ist über weite Strecken des 480 Seiten umfassenden Romans nicht glaubwürdig, sodass man als Leser keinen Bezug zu den Charakteren aufbaut. Ohnehin ist man gezwungen das erste Buch des Autors gelesen zu haben, um sich in der Handlung von „Kolyma“ zurecht zu finden, denn die Charaktere werden dem Leser nicht vorgestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass der ehemalige Agent Leo Demidow irgendwann zwischen der Handlung der beiden Romane zu einem Übermenschen mutiert ist. Schon die Handlung von Smith’ Erstling hatte bisweilen einige Stellen, in denen Leo Einiges eingesteckt hat und seinen Auftrag trotzdem scheinbar mühelos fortsetzte. In „Kolyma“ findet diese Eigenheit dann noch eine Steigerung. Tagelange Folter, Zwangsarbeit und Kälte scheinen Leo nur kurzfristig etwas auszumachen. Hier hat es der Autor einfach zu gut gemeint mit seinem Helden.
Mit „Kolyma“ erhält der Leser einen Nachfolger, der nicht auf ganzer Linie überzeugen kann und weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Ohnehin ist das Buch nur für Kenner des Vorgängers verständlich, da eine Charaktereinführung nicht stattfindet. Man darf gespannt sein, ob der Autor noch einen dritten Band nachlegt - die Geschichte um Leo und seine Familie scheint jedoch abgeschlossen, einzig ein Prequel, in dem die jungen Jahre von Leo beleuchtet werden, erscheint noch lesenswert.