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 Hansel & Gretel


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Brutalität
Extras
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton
Wer kennt nicht das Grimmsche Märchen um Hänsel und Gretel, die die böse Hexe in den Ofen stoßen und, die Taschen voller Edelsteine, zu ihrem Vater zurückkehren. Was aber wäre, wenn die Kinder aus Enttäuschung über ihren Vater, der sie im Wald ausgesetzt hat, gar keine Sehnsucht nach ihren Eltern verspürt und sich im Haus der Hexe niedergelassen hätten? Dieser Frage geht mit dem südkoreanischen Gruselmärchen „Hansel & Gretel“ eines der faszinierendsten Juwele nach, die das fernöstliche Gänsehaut-Kino in den letzten Jahren zu bieten hatte.

Auf dem Weg zu seiner kranken Mutter erleidet Eun-soo (Cheon Jeong-myeong) auf einer Waldstraße einen Autounfall. Als er wieder zu sich kommt und sich in der nächtlichen Dunkelheit immer tiefer im dichten Wald zu verirren droht, erscheint ein junges Mädchen (Shim Eun-kyung). Sie stellt sich als Young Hee vor, die mit ihren Eltern, ihrem Bruder Manbok (Eun Won-jae) und ihrer kleinen Schwester Jung Soon (Ji-hee Jin) in einem Haus tief im Wald lebt. Sie führt Eun-soo zu dem abgelegenen Anwesen, das direkt einem Märchen entsprungen zu sein scheint: Süßigkeiten in Hülle und Fülle, Spielzeug, so weit das Auge reicht, alles überstrahlt von einer heiteren Familienidylle. Eun-soo wird freundlich aufgenommen, doch schon bald muss er erkennen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Telefone und Handys funktionieren nicht, die Eltern reagieren auf Eun-soos Anwesenheit nervös und seine Versuche, den Wald zu verlassen und zur Unfallstelle zu gelangen, bringen ihn immer wieder zum Haus zurück. Als dann auch noch die Eltern spurlos verschwinden und sich merkwürdige Dinge im Haus ereignen, blättert nach und nach die engelsgleiche Fassade der drei Geschwister ab – und Eun-soo deckt ein Geheimnis auf, das ihn das Leben kosten könnte …

Schon mit seinem Filmdebüt „Antarctic Journal“, hierzulande unverständlicherweise in „Das Phantom aus dem Eis“ umgetauft, hat Regisseur Yim Pil-sung sein sicheres Händchen für psychologisch raffiniertes Gruselkino vor ungewöhnlicher Kulisse unter Beweis gestellt. Doch mit „Hansel & Gretel“ hat er sich endgültig in die vorderste Riege südkoreanischer Großmeister des subtilen Grauens katapultiert, guten Gewissens darf sein Name in einem Atemzug mit jenen von Kim Ji-woon („A Tale of Two Sisters“), Ahn Byeong-ki („The Phone”) und Kim Yong-gyun („The Red Shoes“) genannt werden. Seit Oktober 2009 bereichert „Hansel & Gretel“ nun auch den heimischen DVD-Markt. Von einer Bereicherung darf man getrost sprechen, denn wie in manch anderem Meisterwerk des K-Horrors werden auch in der Gruselmär von Yim Pil-sung Spannung, Tiefe und Originalität groß geschrieben.

Nicht wenige Glanzstücke des modernen koreanischen Gruselkinos zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich einer sturen Genre-Zuteilung verweigern und auch gerne mal mit den Gesetzen eines Filmgenres spielen oder sie einfach ignorieren. So changiert etwa „Antarctic Journal“ geschickt zwischen Mysterythriller, tiefgründigem Expeditionsdrama und Antarktisschocker mit Reminiszenzen an „Das Ding aus einer anderen Welt“, und man täte „The Host“ Unrecht, wolle man es stur in die Horrorfilm-Schublade hineinzwängen. Nicht anders verhält es sich mit „Hansel & Gretel“: Der Film ist kein reines Horrorkino, dafür greift er zu selten auf entsprechende Stilmittel zurück; harsche Schockmomente, wie sie das fernöstliche Gruselkino gerne parat hat, sind ausgesprochen rar gesät, die Menge des zum Einsatz kommenden Kunstbluts kann in Löffelchen angegeben werden und unheimliche Geistererscheinungen hatten beim Dreh von „Hansel & Gretel“ anscheinend Betriebsausflug.

All das beeinträchtigt den Film in seiner beeindruckenden Nachhaltigkeit aber überhaupt nicht, denn Yim Pil-sung beschwört seine Dämonen auf eine ganz andere, weitaus subtilere Weise herauf. Dem Zuschauer eröffnet sich eine verträumte Märchenwelt, die ihn mit ihrem berauschenden Farbenspiel betört. Geschickt und behutsam baut der Film eine scheinbar makellose Idylle auf, nur um sie mit nicht geringerer Sorgfalt nach und nach in Frage zu stellen. Verschlagen schlängelt sich das Grauen allmählich an das Publikum heran, etwa wenn Eun-soo mit den Kindern spielt und Süßigkeiten nascht, die Geschwister ihm aber auf seine Bitte hin, ihm den Weg aus dem Wald zu zeigen, eine geradezu unheimliche Kälte entgegenbringen. Der Film gleicht der Spur aus Brotkrumen aus dem Grimmschen Märchen, mit fortschreitender Handlung fügen sich die einzelnen Facetten nahtlos aneinander und führen unausweichlich in Richtung Finale, das dem Zuschauer buchstäblich die Kehle zuschnürt; die Grenzen zwischen Gut und Böse lösen sich in einer einzigen Grauzone auf, die gleichermaßen schockiert wie auch berührt. Maßgeblich zur atmosphärischen Dichte tragen die bewundernswerte Kameraführung sowie der treffsichere Soundtrack von Lee Byung-woo („A Tale of Two Sisters“, „The Host“) bei, die das Geschehen nicht selten aus einer märchenhaft-verträumten Perspektive zeigen, nur um ein, zwei Schnitte später die magische Stimmung mit schleichender Furcht zu vergiften.

Yim Pil-sungs handwerkliches Geschick korrespondiert wunderbar mit den talentierten Darstellern, die mit sichtbarer Sorgfalt ausgewählt worden sind und maßgeblich zur fesselnden Atmosphäre beitragen. Cheon Jeong-myeong spielt die Rolle des jungen Eun-soo, der sich seiner Verantwortung als werdender Vater entziehen will, überzeugend und Hee-soon Park, mit dem der Regisseur schon in „Antarctic Journal“ zusammengearbeitet hat, blüht als falscher Diakon mit einer buchstäblich mörderischen Ader regelrecht auf. Die wahren Träger des Films sind aber unbestritten die Darsteller der drei Geschwister, die ihre Rollen mit einer solchen Eindringlichkeit spielen, dass man als Zuschauer sprachlos zurückbleibt. Wenn der Klappentext der DVD damit wirbt, dass seit „Das Omen“ „unschuldige Kinderaugen nie bedrohlicher“ wirkten, so ist dies kein hohler Marktschrei, sondern die nüchterne Wahrheit …

An der deutschen DVD-Veröffentlichung gibt es nur wenig zu beanstanden: Das gelungene Bild wartet mit einem angenehmen Kontrast und einem auf ein Minimum reduzierten Rauschen auf und unterstützt somit das berauschende Farbenspiel des Films sehr gut, während der einfühlsame Soundtrack mit einem satten, klaren Ton gewürdigt wird. Bei den Bonusinhalten zeigte man sich nicht knauserig: Die DVD wartet mit der obligatorischen Trailershow, zwei TV-Spots zu „Hansel & Gretel“, einem Making-of sowie einem Interview mit dem Regisseur auf; daneben laden „Set-Impressionen“ zu einem virtuellen Rundgang durch das verwunschene Haus ein, und ein rund 14-minütiges B-Roll gestattet einen Blick auf die Dreharbeiten. Ein stimmungsvolles Covermotiv, das man dank Wendecover auch ohne aufdringliche FSK-Brandmarkung bewundern kann, rundet den positiven Gesamteindruck ab. Ganz ohne Abstriche kommt die Silberscheibe aber nicht davon: Mit rund fünf Minuten fällt das Making-of etwas kurz aus, dem B-Roll hätten Untertitel gewiss nicht geschadet und das magere Interview mit Yim Pil-sung beschränkt sich auf Selbstbeweihräucherung, die der Regisseur nicht nötig hat. Der gravierendste Makel jedoch ist das Fehlen des Originaltons; auch wenn dem Film eine professionelle deutsche Synchro spendiert wurde, so lässt sich die Nachhaltigkeit des Films im Original nur erahnen …

Mit „Hansel & Gretel“ hat Yim Pil-sung ein kleines Meisterstück geschaffen, das Märchenmotive, kindliche Unschuld und subtilen Grusel wunderbar miteinander verknüpft. Die Spur an Brotkrumen, die Yim Pil-sung hier ausgelegt hat, führt geradewegs zu einem der eindringlichsten wie auch wunderschönsten Gänsehautperlen der letzten Jahre. Es lohnt sich, der Spur zu folgen. Wirklich!

Michael Höfel



DVD | Disc-Anzahl: 1 | EAN: 4048317358861 | Erschienen: 22. Oktober 2009 | FSK: 16 | Laufzeit: 112 Minuten | Originaltitel: Hansel and Gretel | Preis: 11,95 Euro | Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1)

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