Eines der meistdiskutierten Wissenschaftsthemen der letzten Jahre ist ohne Zweifel das neue Interesse am menschlichen Gehirn und Bewusstsein. Der Forschung gelingt es mehr und mehr, die Geheimnisse des wohl geheimnisvollsten menschlichen Organgs zu lüften. Erstaunliche Erkenntnisse - etwa jene, dass sich eine Willensentscheidung, die scheinbar autonom gefällt wird, schon Sekundenbruchteile vor ihrer Wahrnehmung in den Gehirnströmen nachweisen lässt - werfen natürlich auch Fragen der Ethik und Philosophie, ja gar der Gesetzgebung auf. Wie frei ist unser Willen eigentlich? Sind wir Sklaven unseres Gehirns, ist unser Geist nur scheinbar autonom? Und wie geht die Theologie mit diesen neuen Erkenntnissen um?
Patrick Becker, katholischer Theologe und Dozent für Religionsphilosophie in Marburg, wagt sich an ein heikles Thema. Er versucht die Frage zu beantworten, inwieweit wissenschaftliche Erkenntnisse der Neurologie sich mit theologischen Dogmen vertragen und wie die Theologie auf sie reagieren soll. Er charakterisiert zunächst das christliche Menschenbild, das den Menschen als besonderes und vor allem beseeltes Geschöpf, als Person und Sünder, der zu eigenen Entscheidungen fähig ist, beschreibt, und stellt es dem Bild des Menschen gegenüber, wie es die heutige Wissenschaft entwickelt hat. Evolutionstheorie und Willensforschung stehen dem christlichen Bild oft diametral gegenüber. Diese Gegensätze versucht Becker nun anhand philosophischer und theologischer Modelle teils zu überbrücken, teils gegeneinander abzuwägen, wobei er auch auf klassische Ansätze von Leibniz und Descartes und auf den Monismus zurückgreift. Anschließend setzt sich Becker mit den neusten "Angriffen" der Naturwissenschaft auseinander, etwa den Forschungen von Wolf Singer und Gerhart Roth, aber auch mit dem amerikanischen Philosophen Daniel Dennett, dessen bahnbrechendes Buch "Breaking the Spell" Theologie und Gottesglauben selbst in naturgegebene Gesetzesmäßigkeiten eingeordnet hat und ihnen damit die Deutungshoheit endgültig entzogen hat. Auf diese Angriffe reagiert die Theologie - und mit ihr Becker - mit dem Begriff der Qualia (individuelle Empfindungen, die sich einer objektiven Beschreibung von außen entziehen und die, so das Credo, auch mit den neueren Ansätzen der Hirnforschung nicht erklärt werden könnten).
Becker argumentiert vorsichtig, aufrichtig und ohne zu polemisieren. Dennoch erwacht beim Leser währen der Lektüre die Vorahnung, welch radikale Herausforderungen die moderne Naturwissenschaft und ihre Erkenntnisse vom Gehirn darstellen - und dass diese erst am Anfang stehen. Die Entschlüsselung des Gehirns und des Bewusstseins hat gerade erst begonnen; schon jetzt bringt die Naturwissenschaft theologische, philosophische und ethische Grundsätze zum Wanken. Dagegen kann auch Becker nicht anschreiben. Sein Buch ist ein wichtiger und lesenswerter Beitrag zur Debatte, lässt aber befürchten, dass uns schon bald neue, erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaft und Theologie bevorstehen, gegen die der Darwinstreit nur ein Kinderspiel war. Ein brisantes und spannendes Buch, das sich auch für Nichttheologen lohnt.