Gesamt |
|
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Leitbarkeit | |
Eine neue Zeitlinie für das Cthulhu-Rollenspiel erhebt ihr dreckiges Haupt: das dunkle Mittelalter. Anders als der ältere Band "Cthulhu 1000 A.D." deckt "Cthulhu Mittelalter" dabei die gesamte Ära von der Völkerwanderung bis zur Renaissance ab, bietet also gleich mehrere - sehr unterschiedliche - Zeitebenen für jene Cthulhu-Spieler, die sich in den klassischen Lovecraft-Epochen (1920er, 1890er) nicht zuhause fühlen oder einfach etwas Neues ausprobieren wollen.
Wie bei "Cthulhu Now" verzichtet "Cthulhu Mittelalter" auf einen Nachdruck der Regeln - Spieler- und Spielleiterbuch werden also benötigt. Bei "Cthulhu Now" lagen allerdings die Einsteigerregeln als kleines Booklet bei; ob dies bei "Mittelalter" auch der Fall ist, ist unbekannt. Zumindest das vorliegende Rezensionsexemplar wurde ohne Mini-Regeln ausgeliefert. Dafür findet sich ein ausführliches Kapitel zur Charaktererschaffung, in dem auf mittelalterspezifische Berufe und Fertigkeiten eingegangen wird. Auch einige Begegnungstabellen, Krankheiten und Heilungsprozesse werden vorgestellt, ein kleines Unterkapitel zu Waffen und zum Kampf und zum Thema Wahnsinn und Mythosmagie. Hier gehen die Autoren auch auf das größte Dilemma einer Cthulhu-Runde im Mittelalter ein: Der lovecraftsche Horror der Neuzeit lässt sich nur bedingt auf eine Zeit übertragen, in der das Volk flächendeckend an Dämonen, Geister und übernatürliche Kräfte glaubt. Zwei Wege werden aufgezeigt, um mit diesem Dilemma umzugehen; die Frage bleibt allerdings tatsächlich, inwieweit sich mittelalterliche Grausamkeit und cthulhoider Horror miteinander vertragen.
Flankiert wird der Regelteil von zwei Szenarien (dazu später) und sechs sehr ausführlichen Eingangskapiteln. Zunächst werden drei "Unterepochen" vorgestellt - Früh- Hoch und Spätmittelalter mit den jeweils bedeutsamen historischen Ereignissen, Ländern und typischen Stimmungen jener Jahre. Nun ist ja die Recherche eine der Stärken des Pegasus-Teams ... doch in diesem Fall hat die Redaktion es eindeutig übertrieben. Fast 70 Seiten umfasst dieser Geschichtsabriss, den man natürlich ebenso gut (und kompakter) in jedem Geschichtsbuch nachlesen kann. Er erscheint unnötig aufgebläht, liest sich in Teilen unnötig trocken und ist kaum auf tatsächliche Abenteuerbedürfnisse zugeschnitten. Überzeugender sind da die drei Kapitel "Unter dem weltlichen Okular", "Unter dem geistlichen Okular" und "Unter dem nicht-euklidischen Okular", in denen die mittelalterliche Gesellschaft mit ihren Städten, Schichten und Außenseitern, die Kirche mit ihren Sekten, Mächtegruppen und Klöstern sowie die magischen und kultischen Gruppen des Mittelalters vorgestellt werden. Zum "Nicht-euklidischen Okular" gehören dabei auch die "Multifunktionsschauplätze" Burg Hartenstein und die Kastelburg (klingt ein wenig nach "Mehrzweckhalle"), zwei mittelalterliche Burganlagen, die als Ausgangspunkt einer Mittelalterkampagne dienen können. Auch der germanische Thingplatz Eresberg steht zum Bespielen bereit. Schön, dass jeweils Kartenmaterial für diese drei Schauplätze vorhanden ist.
Die zwei Szenarien könnten unterschiedlicher nicht sein. "Die Diener der Schlange" von den Autoren Ole Christiansen und Thomas Plischke entführt die Spieler in das mittelalterliche Island und schickt die (vorgefertigten) Charaktere auf die Suche nach einer seltsamen Reliquie. Ein durch den ungewöhnlichen Schauplatz sehr stimmungsvolles, aber auch sehr lineares Abenteuer, das wenig Möglichkeiten zur freien Spielentfaltung ermöglicht. Etwas flexibler gibt sich das zweite Szenario "Kinder der Dunkelheit" von Sascha Hillenbrand und Miriam Ronsdorf, das auf der Multifunktionsburg Hartenstein im Elsass spielt und von einem Burgfest sowie einer geheimen Ghoulkolonie berichtet. Das Thema ist sehr konventionell, bietet aber gerade im Festteil eine schöne mittelalterliche Stimmung, weshalb sich "Kinder der Dunkelheit" als ideales Einsteigerabenteuer für Mittelaltercthulhuisten anbietet.
Optisch gibt sich "Cthulhu Mittelalter" wieder einmal gediegen, auch wenn das Potenzial einer historischen passenden Gestaltung (etwa mit Schmuckbalken) verschenkt wurde. Die Illustrationen bestehen aus historischen Nachdrucken und gezeichneten Karten; störend wirken die Personenfotografien des letzten Szenarios, die eindeutig keine Mittelalterstimmung transportieren. Auch das Cover ist diesmal arg bieder. Ansonsten aber lässt sich an der Gestaltung des Buchs nichts aussetzen.
Fazit: So richtig überzeugt das Mittelalter-Buch aus dem Hause Pegasus nicht. Der Geschichtsteil ist unnötig aufgebläht, der Rest zwar gut aufbereitet, aber ohne Esprit. Da hat "Cthulhu Now" in seiner inhaltlichen Neuorientierung und Gestaltung doch deutlich mehr überzeugt. "Cthulhu Mittelalter" ist damit der schwächste Band der Rollenspielreihe seit langem, und wer daran denkt, seine Runde in die dunklen Jahre zu verlagern, sollte erst einen Blick im Rollenspielladen riskieren, ob er dieses Buch tatsächlich braucht.