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Seit acht Jahren befinden sich NATO-Truppen in Afghanistan. In jedem Land, das mit einem größeren Kontingent an dem Einsatz beteiligt ist, wird ehrlich von einem Krieg geredet. Nur in Deutschland weigern sich Politiker und hochrangige Militärs von einem Krieg zu sprechen. Sie sprechen von einer Wiederaufbaumission, von humanitären Aufgaben, die die Bundeswehr in Afghanistan erfülle. Hinter diesen leicht zu durchschauenden Sprachregelungen findet sich ein System der Vertuschung und die Weigerung, die Realität anzuerkennen. Das ist der rote Faden, an dem sich Julian Reichelts und Jan Meyers Buch "Ruhet in Frieden, Soldaten!" abarbeitet.
Die beiden Autoren sind Journalisten, der eine lange Jahre Auslandskorrespondent in Afghanistan, der andere Korrespondent für Verteidigungspolitik. Beide arbeiten für die Bild-Zeitung. Das Buch enthält folglich keine politikwissenschaftlichen Analysen, sondern bildet eine auf Buchlänge gestreckte journalistische Reportage über den Afghanistankrieg. Die Autoren arbeiten eher assoziativ als systematisch. Sie stellen Aussagen von Politikern und Generälen der Alltagsrealität der Soldaten gegenüber.
Das machen sie in sechs Kapiteln, denen jeweils eine zwei- bis dreiseitige Erzählung einer erlebten Szene voran geht, die schon für sich auf die Widersprüche dieses Krieges hinweist. In den Kapiteln fassen die Autoren die Recherchearbeiten ihrer letzten Jahre zusammen. Sie arbeiten die Defizite des Ausbildungsstandes der Truppen heraus wie auch deren Mangel an verschiedenen Ausrüstungsgegenständen. Nicht wenige dieser Missstände sind skandalös: So mangelt es auch nach acht Jahren noch an ausgebildetem Personal, das mit der Bevölkerung kommunizieren kann. Sowohl sprachliche als auch kulturelle Barrieren verhindern, dass die Soldaten ein Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung aufbauen können. Ebenso unverständlich ist beispielsweise das Fehlen leichter schusssicherer Westen, die in der Hitze besser zu ertragen sind und die die Beweglichkeit eines Guerilla-Krieges berücksichtigen.
Die Liste könnte man endlos weiter führen: von einem mangelnden Ausbildungsstand in der Benutzung schwer gepanzerter Fahrzeuge, über Hightech-Helicopter, die nicht für die Situation in Afghanistan angepasst werden können, bis hin zu fehlender Feuerkraft durch Artillerie. Insbesondere letzteres wurde von der Politik lange verwehrt, weil der Eindruck, es handle sich um einen Krieg, vermieden werden soll.
"Ruhet in Frieden, Soldaten!" stellt zweifelsohne eine investigative Leistung dar, deren Lektüre sich lohnt. Man lernt viel über den Krieg in Afghanistan und den deutschen Beitrag. Die Mängel, Irrtümer und Fehlleistungen der Bundeswehr wie der Politik sind, da haben die Autoren recht, in Anbetracht der Folgen, die sie für die einfachen Soldaten im Kampfeinsatz haben, schockierend. Wer Soldaten in einen Krieg schickt, sollte ihnen auch die Möglichkeit geben, ihn führen zu können.
Die Autoren arbeiten sehr gut heraus, wie manche Entscheidungen von den Befehlshabern vor Ort unmittelbare Folge der mangelnden Ausrüstung sind - so auch der Luftschlag auf die gestohlenen Tanklaster letztes Jahr, durch den 142 Menschen durch den Befehl eines deutschen Oberst umgekommen sind. Aufgrund mangelnder Aufklärungsmöglichkeiten, zu wenig Personal und keiner wirksamen Artillerie, deren Einsatz eine Alternative zu einem Luftschlag hätte sein können, hatte der Oberst keine andere Wahl in dem Moment, in dem er die Tanklaster als Gefahr für das deutsche Lager ausgemacht hatte.
So recht die Autoren aus einer militärtheoretischen Perspektive haben, so Unrecht haben sie aber, wenn es um grundsätzliche Erwägungen bezüglich des Krieges geht. Sie gehen beispielsweise davon aus, dass der Oberst den Befehl zum Luftschlag geben musste. Die Gefahr erschien ihm angesichts der ständigen Angriffe auf deutsche Soldaten in den Monaten zuvor real. Dass der Oberst die Lage vielleicht falsch eingeschätzt habe, wäre für sie auch nur eine Folge der mangelnden Möglichkeiten der Truppen vor Ort. Die Autoren stellen sich damit grundsätzlich auf die Seite der kämpfenden Truppen und entlasten sie damit von jeder Verantwortung für ihr Handeln, welches aber genauso über Leben und Tod entscheidet wie die Entscheidungen von Politikern und Generälen.
So wird es schon grenzwertig, wenn sich die Autoren darüber beschweren, dass es in Deutschland ein Skandal ist, wenn Elite-Soldaten in irgendwelchen Ritualen gezwungen werden, rohe Leber zu essen. Was in anderen Armeen normal ist, eine Kultur des Krieges, muss auch in Deutschland akzeptiert werden, wenn man denn, und diese Einschränkung machen die Autoren wenigstens noch, eine Krieg führende Nation sein will.
Da es für die Autoren außer Frage steht, dass der Afghanistankrieg grundsätzlich richtig ist, er nur als solcher von der deutschen Öffentlichkeit und von den Politikern auch anerkannt werden müsste, fehlt dem Buch auf grundsätzlicher Ebene ein kritischer Geist. Die Autoren wollen die Deutschen dazu bringen, "ihren" Soldaten an der Front Hochachtung für ihre Leistung für das Vaterland entgegen zu bringen. Sicher sollte der deutschen Öffentlichkeit klar sein, dass Krieg auch Tod bedeutet und Soldat sein daher mehr ist als irgendein Job. Aber das Feiern soldatischer Leistungen am Hindukusch, wo die Mehrheit der Deutschen eben nicht die Verteidigungslinie Deutschlands erblickt, unkritisch zum Ideal zu erheben, schmälert den Wert des Buches, zumal diese politischen Aussagen für die an sich gute journalistische Arbeit keinen Mehrwert bringen.
Trotz der klaren positiven Haltung der Autoren zum Kriegseinsatz in Afghanistan ist ihre fundierte journalistische Arbeit ihr Geld wert. Das Buch ist jedem politisch interessierten Menschen zu empfehlen!