Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Eleonore lebt ein ruhiges Leben auf dem Land, bis sie dem Landlord auffällt. Er verweigert ihr daraufhin ihre Hochzeit mit ihrem Geliebten, lässt ihn ermorden und verurteilt Eleonore, als sie sich ihm dennoch verweigert, zum Tod durch Pfählen. Im Augenblick ihres Todes verflucht Eleonore ihn und seine Nachkommen und gelobt, wiederzukehren und nicht zu ruhen, bis er und die Seinen ausgelöscht sind. Und tatsächlich: Sie erwacht wieder zum Leben, im Körper der Geliebten des Mannes, der sie zum Tod verurteilt hat. So kann sie direkt ihren Rachefeldzug beginnen.
Jahrhunderte später übernimmt sie nach einer langen körperlosen Zeit in einer Gewitternacht mehr oder weniger versehentlich den Körper des Mädchens Estelle, die mit ihrem Vater und ihrem Bruder zusammen auf Vampirjagd ist. Estelle stirbt durch einen Blitzschlag, doch durch die Seelenwanderung fällt das keinem auf, auch wenn Friedrich, ihr Bruder, sich über Estelles veränderten Charakter wundert. Estelle gibt es zwar noch, aber anders – vor allem ist sie nun eine Vampirin mit allem, was dazugehört und noch immer von Rache getrieben.
"Estelle" ist der erste Band der Serie "Die Chronik der Vanderborgs". Estelle ist somit die Begründerin eines Vampirgeschlechts, der zweite Band wird sich mit ihrer Tochter Amanda befassen. Doch bis dahin ist es ein langer Weg für den Leser, zunächst muss dieser Band gelesen werden. Trotz des kreativeren Erweckungsmythos, trotz der Geschichte um Trauer, Verlust, Rache und abgrundtiefen Hass und trotz der großen Gefühle, die Estelle im Lauf ihres Lebens empfindet, wirkt der Roman seltsam teilnahmslos. Estelle schreibt hier ihre Geschichte aus ihrer Sicht, dennoch ist der Leser nur ein distanzierter Beobachter, der zu keiner Zeit wirklich eingebunden wird und mitfühlt.
Auch wenn bestimmt keiner von einem Fantasy-Roman erwartet, dass er absolut sinnvoll erklärbar ist, gibt es in dieser Geschichte zu viele Widersprüche. Estelle ist eine Vampirin, die schon viele Jahrhunderte erlebt hat, sie kann morden, sie ist selbstbewusst und erfahren. Dennoch, kaum erlebt sie eine unglückliche Ehe, wird sie zu einer schüchternen, unterdrückten Frau, die sich nicht gegen Demütigungen, Gewalt und sogar Vergewaltigung wehrt, sondern alles über sich ergehen lässt. Warum sie ihren brutalen Ehemann nicht einfach tötet und fortan ihre Ruhe vor ihm hat, lässt sich wohl nur dadurch erklärten, dass dieser Mann noch in den folgenden Bänden eine Rolle spielen wird und mit seinem Tod eventuell die Reihe vorzeitig beendet wäre.
Zudem kann die Autorin sich nicht entschließen, ob sie einen Roman für Jugendliche oder Erwachsene schreiben will. Das erklärt wohl auch, warum das Buch in Buchhandlungen sowohl in der einen als auch in der anderen Abteilung zu finden ist. Nach einigen Seiten ist dann aber eindeutig, dass dieses Buch im Regal "ab zwölf" nicht gut aufgehoben ist: Mord, Gewalt, Kastration, Pfählung, Kehle durchschneiden, Vergewaltigung … eine wilde Abwechslung verschiedener blutiger Aktionen, die mal plastisch beschrieben werden, mal beschönigend umschrieben. Die Frage, warum bei der Kastration die Blutfontäne geschildert wird, wenn die Vergewaltigung mit der Umschreibung "Gewalt antun" umschrieben wird, stellt sich ebenfalls.
"Estelle – Dein Blut so rot" vergibt die Pluspunkte, die es sich mit dem vielversprechenden Klappentext verdient hat, sehr schnell wieder. Einzig die abwechslungsreichen Jahrzehnte, die als Setting gewählt wurden – von der Weltausstellung in Paris hin zum Ende des Ersten Weltkriegs – sind zu loben, aber leider nicht genug, um die Schwächen wieder wett zu machen. Noch nicht mal für Fans der typischen Nackenbeißer ist dieser Roman zu empfehlen, dafür kommen Romantik und vor allem Erotik definitiv zu kurz.