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Mao wird am 26. Dezember 1893 in der Provinz Hunan in einem Tal namens Shaoshan geboren. Die etwa 600 Familien, die in diesem Tal leben, bauen Reis, Tee und Bambus an, sie halten Wasserbüffel, um die Reisfelder zu bestellen. Mao ist der dritte Sohn, aber der erste, der das Säuglingsalter überlebt. Er erhält den zweiten Namen Tse Tung, dies bedeutet "auf den Osten scheinend". Bis zu seinem Tode 1976 ist Mao stolz auf seinen Kosenamen Shi san ya-zi, "der Junge aus Stein".
Während seiner Jugendjahre vollzieht sich in China ein dramatischer gesellschaftlicher Wandel. Die Mandschu-Dynastie, die seit 1644 herrscht, öffnet das bis dahin abgeschottete China vorsichtig den Einflüssen des Auslands. 1908 verkündet der Hof ein Programm, um China zu einer konstitutionellen Monarchie zu machen. Besonders Hunan entwickelt sich zu einer der freiheitlichsten Regionen Chinas. Dies kommt Mao sehr zugute, denn er kommt, anstatt wie sein Vater einzig der harten Feldarbeit verpflichtet zu sein, in der Schule in Berührung mit den Ideen der Moderne. Er beginnt zu lesen. Zeit seines Lebens verschlingt er wahllos Bücher und eignet sich die Inhalte an. Folgerichtig schlägt er die Laufbahn eines Lehrers ein, denn die Arbeit eines Bauern ist ihm zuwider.
Zwischen 1911 und 1920 wird er durch Freunde, eigene Interessen und dem starken Wunsch, sich den Veränderungen anzuschließen, die überall sichtbar werden, zu den Kommunisten hingezogen. Immer wieder wird zwar deutlich, dass Mao nicht aus innerer Überzeugung handelt, sondern einzig aus dem Wunsch, Macht und Einfluss zu erlangen, aber er verhält sich so klug und berechnend, dass es ihm dennoch gelingt, in der Hierarchie aufzusteigen.
Als er sich zwischen 1920 und 1925 immer stärker anderer bedient und es auffällt, dass er seine Aufgaben geschickt delegiert, wird er zurückgestuft und verliert an Einfluss.
Privat erweist er sich als wenig zuverlässig. Er heiratet zwar, behält aber seine außerehelichen Beziehungen bei und handelt auch hier grundsätzlich aus egoistischen Motiven. Er lehnt es weiter ab, irgendeine Form von Verantwortung für sich und sein Tun zu übernehmen.
Zwischen 1925 und 1927 steigt er in der Nationalistischen Partei auf, indem er geschickt den Tod des Führers der Nationalisten, Sun Yat-Sen, nutzt.
Doch Chiang Kai-shek, Kommandant der Nationalistischen Armee, beendet das Gastspiel Maos bei den Nationalisten. Chiang, der später nach Taiwan flieht und dort "das zweite China" gründet und lange Jahre ihr Alleinherrscher ist, säubert die Partei von kommunistischen Einflüssen. Auf seiner 197 Personen umfassenden Fahndungsliste steht auch Mao. Im Sommer 1927 entscheidet sich Mao für die KPC und die Sowjets, die dort großen Einfluss haben. Damit beginnt sein Aufstieg bis an die Spitze der Macht.
Im Jahr 1934 stellt Chiang Kai-shek eine Armee von einer halben Million Soldaten auf und läßt dennoch die 80.000 Mann starke kommunistische Armee entkommen. Er hat seine eigenen Interessen und will der Roten Armee folgen, sie quasi vor sich hertreiben, um in den Provinzen, die sie durcheilen, selbst die Macht zu übernehmen. Diese Regionen sind selbständig und zu stark, um sie militärisch einzunehmen. Chiang Kai-shek handelt also in dem Kalkül, unter zu Hilfenahme der kommunistischen Armee, selbst zum Herrscher über diese Landstriche zu werden. So läßt er die Kommunisten immer wieder entkommen. Seine Fehleinschätzung bedeutet seine eigene Niederlage. Die Kommunisten können den Mythos der Unbesiegbarkeit und des eisernen Willens kreieren, der Mao letztlich zur absoluten Macht verhilft.
Durch eine beispiellose Terrorkampagne läßt Mao seine Gegner und Freunde, die ihm gefährlich werden können, ermorden oder "kalt stellen". Er hat bis zum Jahr 1942 derart viele Feinde durch seine Säuberungskampagne, dass er um sein Leben fürchten muss. Er ersinnt ein Sicherheitssystem, dass niemanden zu ihm vordringen läßt, der ihm gefährlich werden könnte. Diese Vorsicht ermöglicht es ihm, noch gnadenloser vorzugehen und machte ihn gleichzeitig unangreifbar. Ihm gelingt etwas sehr Wichtiges: Der Personenkult, den er initiiert wird so mächtig, dass ihn die einfachen Menschen zu verehren beginnen. Wer seinen Terror und seine Brutalität nicht mit eigenen Augen erlebt und ihm zu fern ist, erhält nur die Nachrichten, die Mao selbst verfasst und ausstreuen läßt. Er wird zum Helden aller Chinesen und damit wird das Volk, obwohl er es doch zeitlebens gering achtet, sein wichtigster Machtfaktor. Am 23. April 1945 ist er am Ziel seiner Wünsche, er wird zum Vorsitzenden aller drei Führungsgremien gewählt: Er leitet von nun an das Zentralkomitee, das Politbüro und das Sekretariat. Doch Mao braucht noch mehrere Jahre, um sein Terrorregime auf ganz China auszubreiten. Seine Skrupellosigkeit und brutale Vorgehensweise macht vor niemandem Halt, wer zu mächtig ist oder wird ist bald tot oder zumindest degradiert.
Doch sein Hauptvorhaben, das 70 Millionen Chinesen das Leben kosten sollte, steht noch bevor. China soll Supermacht werden und mit aller Macht zu den USA und den Sowjets aufschließen. Eine Kulturrevolution beginnt, die alles überrollt, was in China bisher Gültigkeit hat.
Die Autorin Jung Chang legt gemeinsam mit ihrem Mann eine Biografie von Mao vor, die mit allen Mythen und Berichten, Biografien und Aussagen über diesen Staatsmann, die bisher erschienen sind, bricht. Es erscheint dem unbefangenen Leser wie eine Anklageschrift. Keine Seite vergeht, in dem Chang nicht Vorwürfe erhebt und scheinbar gesicherte Fakten verwirft und zu Ungunsten Maos interpretiert.
In zwölfjähriger Arbeit hat sie Quellen erschlossen, die schwer auffindbar oder verschwunden waren. Sie hat in einer unglaublichen Fleißarbeit tausende Menschen aus dem Umkreis Maos befragt, unzählige Briefe, Texte und Berichte über Mao studiert und ausgewertet. Ihr Mann, der britische Historiker Jon Halliday, stand ihr dabei zur Seite.
Die weltberühmte Autorin von "Wilde Schwäne", einem Buch, das in 30 Sprachen übersetzt und über zehn Millionen Mal verkauft wurde und einen tiefen Einblick in ihre Familie zur Zeit der Jahrhundertwende in China gibt, hat ein gewaltiges Werk vorgelegt.
Der Laie verzweifelt vor der schier unglaublichen Fülle an Informationen, die sie präsentiert, um nachzuweisen, dass Mao ein unglaublicher Verbrecher war. Er hat mehr Menschen auf dem Gewissen als im zweiten Weltkrieg umkamen und hat China bis in die Grundfesten erschüttert und beinahe vernichtet. Er begründete ein Terrorregime ohne Beispiel und hat es bis zu seinem Tod im Jahre 1976 derart perfektioniert, dass dieses Regime auch heute noch existiert und unangreifbar scheint.
Ob die Dissidentin Chang allerdings unbefangen und neutral, objektiv und wirklich auf der Suche nach der Wahrheit war, bleibt der Bewertung durch Historiker überlassen. Ihr Kalkül ist es sicherlich gewesen, ihr Heimatland aufzurütteln und politisch derart zu erschüttern, dass es wirklich in die Moderne hin entwickelbar wird.
Sie hat eines mit Sicherheit erreicht: Ihr Buch wird weltweit ein Bild von China ermöglichen, das fernab von staatlicher Propaganda sehr viel näher an die Wahrheit heranreicht als es ein Werk aus China je zuvor möglich machte.
Ihr Verdienst wird es sein, den Mythos Mao auf menschliches Maß zu verringern und seine Verbrechen in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu rücken. Ob objektiv oder subjektiv, ihr Buch lässt hoffen, dass die Chinesen, denen Übersetzungen, die illegal kursieren werden, zu Ohren und Augen kommen, ihren Führer entmystifizieren und als das sehen können, was er mit Sicherheit war: Ein Tyrann, der China grausam beherrschte.
Nach 811 Seiten Text fügt Chang einen 164 starken Anhang an, der in dreizehn Kategorien Informationen zum Buch, der verwendeten Literatur und den Bildern gibt, die im Inneren des Buches eingeheftet sind. Sie zeigen wichtige Persönlichkeiten aus Maos Umfeld und Mao selbst.
Ob dieses Buch, das hymnisch als einzig mögliche und wahrhaftigste Biografie Maos weltweit angepriesen wird, den Ruf verdient, den es selbst zu erzeugen versucht, sei dahingestellt, es ist zumindest ein unglaublich spannend zu lesendes Dokument eines unfassbaren Lebens und eine Geschichte Chinas der letzten hundert Jahre, die tief unter die Haut geht und ein Frösteln beim Leser hinterlässt.
Ich bin jedenfalls tief beeindruckt von diesem Buch, das auf seinen 975 Seiten so spannend zu lesen ist wie ein Kriminalroman. Wer sich für China oder seinen großen Führer Mao interessiert, sollte zugreifen - auf lange Jahre hin wird es das Standardwerk dieser Epoche sein.