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Was genau ist es eigentlich, das Roger Willemsen zu einem der beliebtesten Gäste auf deutschen Talkshow-Couches macht?
Sicher, der promovierte Germanist und Journalist hat eine auffallend gute Allgemeinbildung, mit der er zu den unterschiedlichsten Themen fundierte Wortbeiträge zu leisten vermag. Diese Befähigung alleine kann jedoch nicht das Geheimnis seines Erfolges sein und ist wohl noch nicht einmal eine Voraussetzung, um im Fernsehen dauerpräsent zu sein. Was Willemsen auszeichnet, ist seine ganz eigene Entertainer-Qualität, die vor allem darin besteht, dass er ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Ein Geschichtenerzähler im besten Sinne – jemand, der mit überraschend speziellen Anekdoten in ihren feinfühlig beobachteten Details zu fesseln vermag, dabei aber in ihrer Einzigartigkeit auch immer eine so allgemeine Sinngebung anklingen lässt, dass jeder Zuhörer sich ganz persönlich dadurch angesprochen fühlt. Der Geschichtenerzähler verbrüdert sich mit dem Zuhörer, macht ihm zum Seelenverwandten, lässt ihn ganz nah heran an seine Erleb- und Erkenntnisse, als wären es seine eigenen. Ein guter Geschichtenerzähler muss diese Freigiebigkeit haben und die Fähigkeit nicht nur das harte Faktengerippe einer Geschichte wiederzugeben, sondern ihr auch das schwer Fassbare, Atmosphärische, Metaphysische abzuringen, welches scheinbar banalste Erlebnisse zu Erlebnissen mit Tiefe macht. Roger Willemsen verbindet diese Eigenschaften aufs Mustergültige. Wem sonst könnte es gelingen, die Geschichte einer analen Liebesnacht in nur wenigen Sätzen zugleich so unverblümt und persönlich, komisch und poetisch aufleben zu lassen wie Willemsen in der kultverdächtigen Pilotfolge der nie auf Sendung gegangenen Reality-TV-Show "Wahrheit oder Pflicht" von und mit Charlotte Roche?!
Ein Erzähler muss selbstverständlich etwas zu erzählen haben, und Roger Willemsen hat ein Hobby, das ihm mehr als genug Stoff für Geschichten bietet: Seit Jahrzehnten begibt er sich immer wieder auf ausgedehnte Reisen. Aus seinen Erlebnissen und Reflexionen während dieser Fahrten über fünf Kontinente ist das 2010 erschienene Buch "Die Enden der Welt" entstanden. Seither tourt der Autor sehr erfolgreich mit einem Live-Programm durch Deutschland, bei dem er die Geschichten die niedergeschriebenen Geschichten wieder aufleben lässt.
Der Mitschnitt eines solchen Abends in Bonn ist unter dem Titel "Auf entlegenen Posten" auf CD erschienen. Willemsen nimmt den Zuhörer mit nach Tonga und in die Eifel, nach Minsk und Timbuktu, nach Locarno und Kabul, nach Mandalay und an den Nordpol. Er nimmt ihn aber auch mit nach Bonn, wo er mit seinem Live-Publikum interagiert, sich selbst in seiner Rolle als weiser Geschichtenerzähler ironisiert und fantastisch improvisiert. "Auf entlegenen Posten" ist deswegen nicht einfach nur eine Hörbuchfassung von "Die Enden der Welt". Zwar gibt die Vorlage die gedankliche Route vor. Ihren eigentlichen Ausgangspunkt hat sie im Krankenhausbett eines todgeweihten Jungen, mit dem Willemsen sich an imaginäre Orte katapultiert, um ihm die Langeweile zu vertreiben. Auch später schwingen, so sagt Willemsen, bei seinen realen Reisen noch immer jene nur gedachten Reisen mit, und die Fahrten in andere Länder bedeutet nicht nur ein Bereisen der eigenen Konjunktive ("Wer wäre / Was täte ich hier?"), sondern auch der des Jungen, der seine Lebensreise nicht fortsetzen konnte.
Neben diesen mal philosophischen, mal spannenden, mal informativen und mal auch albernen An- und Einsichten, die auch der Schriftsteller Willemsen bietet, bekommen wir mit "Die Enden der Welt" aber noch dazu die Suggestivkraft eines charismatischen Erzählers. Wer Willemsens dezent affektierte Art schätzt, wird sich dem Charme seiner einschmeichelnden Stimme, der Intelligenz und der Spontaneität seiner Wortakrobatik nicht entziehen können. Roger – Dir möchte ich stundenlang zuhören!
Eine Hörprobe gibt es auf der Verlagsseite.