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Keine andere statistische Größe spielt in Politik und Medien auch nur eine annähernd so große Rolle wie das Bruttoinlandsprodukt und seine jährliche Veränderung. Dabei wurden die Theorien und statistischen Instrumente für diese Größe erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Wie konnte diese eine Zahl eine so große Bedeutung erlangen?
Dieser Frage widmet sich Philipp Lepenies in seinem kurzen Buch "Die Macht der einen Zahl". Er beschreibt in sechs Kapiteln, wie sich das Konzept des BIPs und des Wirtschaftswachstums entwickelt hat und wie es sich weltweit als eine Leitkategorie durchgesetzt hat. Lepenies beginnt mit William Pettys Konzept der Political Arithmetic im 17. Jahrhundert, das sich zwar nie durchsetzte, aber einen ersten Versuch darstellte, ökonomische Prozesse mit Statistik zu beschreiben.
Die Kapitel drei bis fünf beschäftigen sich jeweils mit der historischen Entwicklung in England, den USA und in Deutschland. In England spielten vor allem die Namen Colin Clark und Keynes eine Rolle. Clark stritt dafür, empirische und statistische Methoden zur Grundlage der Wirtschaftswissenschaft zu machen. Keynes setzte sich später für die politische Umsetzung dieser Forderung ein, um seine Wirtschaftstheorie durchzusetzen.
In den USA wurde parallel das Konzept des Bruttosozialprodukts entwickelt. Dies ist vor allem mit dem Namen Simon Kuznet verbunden. Dieses Konzept wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Westdeutschland übernommen und konnte dort bereits auf eine Traidition der Wirtschaftsstatistik aufbauen.
Im letzten Kapitel wird schließlich beschrieben, wie sich das BIP weltweit durchsetzte im Zuge von Internationalisierung und Harmonisierung der Weltwirtschaft. In einem Fazit wird das Buch zusammengefasst.
Philipp Lepenies' Buch "Die Macht der einen Zahl" stellt eine spannende Frage: Wie kam es zu der weltweiten politischen Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt und das Wirtschaftswachstum? Der Autor steht dem sicher kritisch gegenüber, dass diese eine Zahl eine solche Bedeutung erlangt hat. Dennoch hat er ein Geschichtsbuch vorgelegt, das ohne Wertungen diese Entwicklung darstellt. Nur im Vorwort und im Fazit wird gewertet.
In den einzelnen Abschnitten werden die erwähnten Wissenschaftler und Ökonomen in allen ihren Facetten gewürdigt. Nicht immer kam politisch das heraus, was sie sich vorgestellt hatten. Allerdings konzentriert sich Lepenies streckenweise fast ausschließlich auf einige wenige Personen, die mit Wirtschaftsstatistik eng verbunden waren. Interessant wäre auch gewesen, mehr politische und mediale Quellen auszuwerten. Es wird zwar in jedem Abschnitt deutlich, wie die Ideen einiger weniger Ökonomen sich auch im politischen Betrieb durchsetzten, allerdings wird kaum behandelt, wie sich diese Ideen im öffentlichen Diskurs behaupten konnten. Doch gerade in diesem Diskurs zeigt sich, welche Macht diese Zahl inzwischen hat.
Dennoch erweist sich dieses Büchlein als sehr lesenswert. Es präsentiert sich als eine ökonomische Ideengeschichte, die zeigt, dass es keineswegs naturgegeben ist, dass Politik und Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts fixiert sind. Es gab immer auch Kritik an diesem Konzept und alternative Vorstellungen darüber, was wirtschaftlicher Fortschritt überhaupt ist. Diese Diskussion wieder zu führen, ist angesichts der weltweiten Probleme drängender denn je, Lepenies hat mit diesem Buch hoffentlich einen kleinen Beitrag dazu geleistet, sie in Gang zu bringen ...
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.