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 Die Neandertaler und wir

Meine Suche nach den Urzeit-Genen

Autoren: Svante Pääbo
Übersetzer: Sebastian Vogel
Verlag: Fischer

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Wer den Buchtitel sieht und eine Rezension dazu anklickt, dürfte zu den Menschen gehören, die sich schon einmal von der Paläoanthropologie haben faszinieren lassen, jener Wissenschaft, die sich mit den frühen Menschen, ihren Vorgängern und ausgestorbenen Vettern befasst. Zu den faszinierendsten Vertretern der ausgestorbenen Homininen gehört sicherlich der Neandertaler, nicht zuletzt, weil er und unsere unmittelbaren Vorfahren über einige Jahrzehntausende nebeneinander existierten, bevor der Neandertaler unterging.
Unter den Paläoanthropologen – und nicht nur ihnen – blieb allerdings die Frage lebendig, ob sich Neandertaler und moderne Menschen gelegentlich miteinander vermischten und so womöglich der Neandertaler in Form von Genen in uns weiterlebt. Zu den Forschern, die sich nie von der Faszination der Urmenschen lösen konnten, gehört Svante Pääbo, eine der herausragenden Persönlichkeiten in der Paläogenetik der letzten Jahrzehnte. Im hier besprochenen Buch liefert er eine Art Rückblick auf seine bisherige Arbeit an der Aufklärung des Neandertalergenoms, einschließlich der Frühzeit seiner Studien, während der er bereits bemüht war, genetische Erkenntnisse über ägyptische Mumien zu gewinnen.
Pääbo beschreibt, wie er Schritt für Schritt der Möglichkeit näher kam, Neandertaler-Erbsubstanz aus Fossilien zu gewinnen, seinerzeit noch ein scheinbar utopisches Unterfangen. Doch es gelang, allerdings zeigte sich, dass die Fossilien durch ihren Aufenthalt in Höhlen stark mit Bakterien- und Pilz-DNA verunreinigt waren, nicht zuletzt auch mit DNA moderner Menschen, nämlich aller, die zu irgendeiner Zeit die Fossilien berührt hatten. Dennoch gaben Pääbo und seine Arbeitsgruppe nicht auf. Pääbo leitete mittlerweile eine Abteilung am Max-Planck-Institut in Leipzig und konnte daher auf Forschungsgelder zurückgreifen, die hochmoderne instrumentelle Technik ermöglichten – und in der Folge einige der erstaunlichsten Forschungsresultate, die je veröffentlicht wurden.
Fotos und Skizzen veranschaulichen einige Textpassagen beziehungsweise Inhalte.

Svante Pääbo befasst sich mit einem Forschungsthema, das die eine oder andere Überraschung bereithält und viele Menschen berührt. Der Gedanke, dass die Neandertaler in uns weiterleben könnten als Teil unseres Genoms, hat etwas Faszinierendes, doch erschien er noch vor einigen Jahren äußerst kühn, auch ein wenig absurd, da eine erfolgreiche (nämlich von fruchtbarer Nachkommenschaft "gekrönte") Paarung unter Angehörigen verschiedener Spezies, als die Neandertaler und moderner Mensch galten, der biologischen Arten-Definition eklatant widerspricht.
Pääbo erzählt von seiner Interessenprägung in seiner Jugend, von seinen Studien, seiner Promotion einschließlich einiger heimlicher Versuche, die Erfolg hatten, aber nie offiziell genehmigt worden wären, und Postdoc-Aktivitäten. Klar, dass der ambitionierte Forscher die Möglichkeit ergreift, DNA aus einem zur Verfügung gestellten Stück Neandertalerknochen zu extrahieren. Übrigens derselbe Knochen, der – an der Entnahmestelle mit Metall ergänzt – bei einer spannenden Ausstellung im Landesmuseum Darmstadt zu sehen war; dem einschlägig interessierten Leser bietet sich bei der Lektüre durchaus hier und da ein sympathisches Déjà-vu!
Bisweilen abschweifend, Rückblenden einstreuend, berichtet Pääbo davon, wie er mit seiner Arbeitsgruppe und schließlich einem exzellenten Konsortium Erkenntnisse gewann, mit denen noch vor wenigen Jahren kaum jemand gerechnet hätte: über die Beziehungen unserer Vorfahren zu den Neandertalern, die Bewegungen der Menschen aus Afrika heraus über die Alte Welt und genetische Einsprengsel auch durch andere urtümlichere Menschenarten. Staunen und Begeisterung sind bei dieser Lektüre nicht nur erlaubt, sondern ergeben sich zwangsläufig.
Nun beschreibt Pääbo seine Arbeit durchaus mit einigem Tiefgang, was heißt, dass der Leser ohne naturwissenschaftliche "Vorbelastung" vermutlich nicht immer alles im Detail nachvollziehen kann. Freilich lässt sich eine auf komplizierte physiko- und biochemische Verfahren gestützte Forschung nicht gänzlich allgemeinverständlich erklären, sofern ein gewisser Fluss in der Darstellung erhalten bleiben soll. Diesem Fluss kann aber auch der Leser ohne konkrete Vorkenntnisse meist gut folgen. Insgesamt bleibt das Buch also gut verständlich.
Auch Privates fließt ein und zeigt auf, wie so ein Forscherleben aussieht, und welche Wechselwirkungen sich zwischen Liebes- und Familienleben, persönlichen Vor- und Ablieben in Bezug auf Personen und anderem sowie der Arbeit ergeben können. Vielleicht möchte der Leser die erotischen Präferenzen des Autors gar nicht so genau kennen lernen, wie er sie angeboten bekommt. Aber das ist wohl Geschmackssache.
Dass Eigenlob nicht zu kurz kommen darf in solch einer autobiografischen Veröffentlichung, sollte verständlich sein. Über weite Strecken präsentiert sich Pääbo allerdings etwas überheblich in Bezug auf die eigenen Verdienste, die präzise Arbeit – die natürlich nicht genug Wertschätzung erhalten kann, das steht nicht zur Diskussion – und die als eher nachlässig geschilderte Vorgehensweise anderer Arbeitsgruppen bei der Konkurrenz um frühestmögliche Veröffentlichungen. Hier kommen sicher in manchem Leser gewisse Vorbehalte gegenüber dem Autor auf, die sich womöglich durch ein persönliches Interview ausräumen lassen, wie es beispielsweise hier zu finden ist.

Insgesamt lohnt sich die Lektüre enorm, sie bietet Einblicke in moderne Forschungsmethoden und die Arbeitsteilung, die sich aus den immer komplexer werdenden Fragestellungen und wissenschaftlichen Nischen ergibt, in eine ungewöhnliche Forscherbiografie und natürlich in Fragen, die uns tief berühren: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 24. September 2015 | ISBN: 9783596188499 | Originaltitel: Neanderthal Man. In Search of Lost Genomes | Preis: 10,99 Euro | 382 Seiten | Sprache: Deutsch

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