Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Bei Reclam erscheint nun schon seit zwei Jahren in regelmäßigen Abständen ein Band nach dem anderen der Neuübersetzung von Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Bernd-Jürgen Fischer. Ende 2015 erschien nun der fünfte Band "Die Gefangene".
In den vier vorangegangenen Bänden des monumentalen Werks konnte der Leser von der frühen Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter das Leben der Hauptfigur Marcel mit ihren Leidenschaften und Verirrungen verfolgen. Aus dem Jungen, der sich immer wieder unglücklich verliebte und danach strebte ein Künstler zu werden, ist nun ein Mann geworden, dessen Verhaltensreflexe und -mechanismen sich aber nicht groß verändert haben. Nachdem er in Band vier schwankend vor der Frage stand, ob er Albertine trotz ihrer gemeinsamen schwierigen Vergangenheit heiraten solle oder nicht, entscheidet er sich nun dafür. Jetzt führt er also ein Eheleben mit allen Hochs und Tiefs, die sich noch durch sein ständiges Grübeln verstärken. Er schließt seine Frau faktisch ein, bis sie danach strebt, der Ehe zu entfliehen, was er gerade durch diese Maßnahmen verhindern wollte ...
Der Roman "Die Gefangene" fügt sich nahtlos am vierten Band von Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" an, sowohl was die Handlung angeht als auch was die tiefen Einblicke ins Seelenleben des Protagonisten angeht.
Marcels Leben ist nun weit fortgeschritten. Seine Verhaltensmechanismen und -reflexe haben sich inzwischen tief eingeprägt. Auch in seinem Eheleben mit einer Frau, die sein Misstrauen und Unverständnis noch verstärken, verursachen sie tiefe Krisen. In vielem wiederholt sich hier das Leben Swanns, das die Hauptfigur in seiner Jugendzeit mitbekommen hat und ausführlich im ersten Band des Zyklus beschrieben wurde. Ein Kreis scheint sich zu schließen. Marcel durchlebt dieselben Krisen wie Swann und alles Reflektieren über das Handeln anderer und des eigenen vertiefen die Probleme nur. Die tiefe Kluft zwischen Erwartungen und romantischen Wünschen auf der einen Seite und der komplizierten Realität auf der anderen überfordert den Protagonisten, der es nicht schafft, sich ein zufriedenes Leben aufzubauen.
Spannend ist die Handlung weniger durch Dramaturgie und Spannungsbögen als vielmehr durch die psychologische Erforschung Marcels. Teilweise hat der Leser das Gefühl eine Beispielstudie zu lesen, nicht einen Roman. Die Wiederholungen der Motive und der immer gleichen Gedankengänge nur in anderen Worten erfordert stellenweise schon einigen Langmut, insbesondere da auch vieles, was in diesem Roman vorkommt heutzutage nicht mehr bekannt ist. Die Anstrengung lohnt sich aber, wenn der Leser verstanden hat, um was es Proust geht und sich darauf einlässt. Der ganze Hintergrund der Geschichte wird wie auch in den vorhergehenden Bänden durch den ausführlichen Anhang mit zahlreichen Erklärungen und Fakten mitgeliefert. Insbesondere Personen und Ereignisse aus Gesellschaft, Kunst und Politik können so gut im Band selbst nachgeschlagen werden.
Bernd-Jürgen Fischers Übersetzung ist auf demselben hohen Niveau wie in den ersten vier Bänden. Der Text liest sich gut und flüssig und die gewählten Ausdrücke und Formulierungen geben gut die gewünschte Stimmung wieder. Die Sprache wirkt weder altbacken noch gekünstelt modernisiert, was bei einem so alten Stoff nicht selbstverständlich ist. So lohnt sich auch dieser Band für alle, die sich durch den Romanzyklus von Proust arbeiten wollen.
Eine Leseprobe gibt es auf der
Verlagswebsite.