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Mutter Tugend wurde vom Spott erhört, als sie sich im hohen Alter nach einem Kind sehnte. Aus der unheiligen Allianz entsteht Schande, eine Tochter, von der Tugend weiß, dass sie dunkle Wege gehen wird. Darum erschafft sie für ihre Tochter ein Reich aus einem Haus mit Garten und fängt Nymphen und Dryaden, die das Baby versorgen, das aber undurchdringlich ist und Schande von der Welt fernhält. Sie nennt dieses Domizil "die Wiege". So wächst das Mädchen heran. Doch es dauert nicht lange, bis dunkle Schatten den Weg zu ihr finden und ihr Vater Spott ihr verlockend ins Ohr säuselt. Er braucht sie, um seine düsteren Pläne zu verwirklichen.
Schande wächst heran und geht einen unheilvollen Pakt ein. Sie lässt sich von einem Inkubus schwängern und bannt die Seele ihrer alten Mutter in das Neugeborene, die nun an ihrer Stelle in der Wiege gefangen ist. Und Schande gelingt es endlich, einen Weg in die Welt der Menschen zu finden, die so leicht zu formen ist. Mit ihren körperlichen Reizen umgarnt sie die, die ihr dienen sollen. Zusammen mit ihrem Vater Spott erschafft sie ein Imperium des Bösen, gegen das ihre Mutter Tugend in ihrer Gefangenschaft nichts ausrichten kann, auch wenn sie inzwischen selbst zu einer jungen, schönen Frau herangewachsen ist. Da bedarf es eines einfachen Menschen, der an das Gute glaubt und Tugend zu Hilfe kommt, damit sie sich dem unausweichlichen Kampf gegen ihre eigene Mutter und Tochter stellen kann.
Vom Erzählstil und den stereotypen Charakteren her ist "Shame - Die Tochter des Bösen" ganz klar als Märchen zu verstehen. Die Handlung würde so oder ähnlich durchaus in die grimmsche Märchensammlung passen. Aber es handelt sich um ein sehr modernes Märchen aus der Feder von Lovern Kindzierski. Und durch die Zeichnungen von John Bolton wird daraus schon fast eine Horror-Geschichte. Bereits durch die Coverillustration wird klar, was den Leser im Inneren für Wesen und Kreaturen erwarten. Es gibt Grauenhaftes und Ekelerregendes, aber dominant ist die Erotik, die die beiden Hauptfiguren Schande und Tugend umgibt. Zu Anfang ist Tugend noch eine alte Frau, aber das ändert sich schnell und danach gibt es fast kein Panel mehr, in dem keine nackte Haut oder wieder ein neues Kostüm zu sehen ist, das mehr enthüllt als verbirgt. Dabei scheint die Geschichte oft mehr Mittel zum Zweck als wahrer Kern dieser Graphic Novel zu sein. Boltons Stil ist schwer einzuordnen, erinnert aber stellenweise an die Kunst von Richard Corben. Oft wirken die einzelnen Sequenzen plakativ in Szene gesetzt, doch das tut ihnen gut und hebt den künstlerischen Aspekt von "Shame" hervor.
Die Geschichte selbst bleibt hinter den Zeichnungen ein gutes Stück zurück, es sollte nicht zu viel erwartet werden. Wie bereits geschrieben, ist "Shame" als Märchen zu verstehen und als solches sind die Figuren keiner Wandlung unterzogen oder kennen so etwas wie Gewissensbisse. Sie sind, wie sie sind, und zeigen sich dem Leser, sowohl in ihren Handlungen als auch optisch, als Gut oder Böse. Die Geschichte ist nicht so lang oder komplex, wie die Dicke der Gesamtausgabe aus drei Teilen uns glauben lassen könnte. Trotzdem verbirgt sie einige Highlights. Ein besonderes Augenmerk sind etwa die "Kosenamen", die Spott seiner Tochter Schande gibt. Zu Anfang sind sie noch wenig spektakulär und beschränken sich auf Bezeichnungen wie "Herz aus Finsternis". Origineller wird es dann bei "meiner übelriechenden Praline" oder "meiner eitrigen Blüte".
Vor allen Dingen wegen der Zeichnungen, die einen starken Kontrast zwischen erotischer Aquarellkunst und kantigen, collagenartigen Monstern darstellen, ist "Shame - Die Tochter des Bösen" ein Märchen für Erwachsene, an dem besonders die Comic-Fans Freude haben dürften, die ihren Fokus auf ausgefallene, intensive Zeichnungen gelegt haben.
Auf der Webseite vom Splitter Verlag gibt es eine Leseprobe, die einen Einblick in die Bilderwelt von "Shame" gibt.