Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Als der dritte August 2014 anbricht, weiß das Jesidenmädchen Shirin noch nicht, dass dieser Tag ihr Leben und vieler ihrer Glaubensgenossen brutal verändern wird – dass von da an nichts mehr so sein wird, wie es war.
Shirin lebt am Rand des Sindschar-Gebirges, nicht sehr weit von Mossul im Nordirak. Vom "IS" und seinem Vorrücken haben sie und ihre Mitbürger in ihrem Dorf bereits gehört, und die Nachrichten werden immer bedrohlicher. Als dann die "IS-Kämpfer" das Dorf einnehmen, sind die einfachen Menschen dennoch überrascht. Die meisten können nicht flüchten, sie sind eingekesselt. Und so werden die Männer und männlichen Heranwachsenden getötet und die kleinen Jungen zu Kindersoldaten ausgebildet, was die Frauen erst später erfahren. Sie und die Mädchen sind wertvolle Beute, insbesondere die Jungfrauen. Nach einer Zwangskonvertierung werden sie verkauft und "verheiratet", was nichts anderes bedeutet, als dass sie "IS-Kämpfern" als Sexsklavinnen dienen müssen.
Wie so viele andere wird Shirin gewaltsam entjungfert und immer wieder vergewaltigt – unter dem Deckmantel einer "Ehe". Als der erste "Ehemann" die Lust an ihr verliert, verkauft er sie weiter an den nächsten Peiniger, und so geht es etliche Male fort und fort, eine Abtreibung inklusive, bis sie an einen Mann gerät, der ihr die Flucht ermöglicht. In einem nordirakischen Lager entdeckt sie der kurdischstämmige Traumatologe und Psychiater Dr. Jan Kizilhan und holt sie nach Deutschland, wo sie mit Leidensgenossinnen und deren Kindern wieder ins Leben zurückfinden kann.
Shirin - der Name ist übrigens ein Pseudonym zum Schutz der im Irak verbliebenen Familienangehörigen – beginnt ihr Buch mit Eindrücken aus ihrem noch kurzen Leben in Deutschland im Rahmen eines baden-württembergischen Projekts, das traumatisierten jesidischen Frauen und ihren Kindern Aufenthalt und Therapie in Sicherheit ermöglicht.
Anschließend erzählt das junge Mädchen von seiner Kindheit und dem Heranwachsen in einem sehr einfachen kurdischen Dorf in der Sindschar-Region (die Jesiden sind eine eigene, sehr alte Religionsgemeinschaft, ethnisch jedoch Kurden). Shirin gibt dem Leser Einblicke in ihre Religion und das zunächst friedliche Miteinander der jesidischen und kurdischen Dorfbevölkerung. Sie plant, zu studieren, und es gibt auch einen Mann, den sie vielleicht einmal heiraten möchte.
Die weitere Geschichte: Überfall auf das Dorf durch den "IS", darunter die muslimischen Nachbarn aus dem Dorf, Mord an den Männern, Gefangennahme der Frauen und Mädchen, die Trennung von der Familie, Zwangskonvertierung zum Islam und dann der nicht enden wollende Albtraum von Misshandlung einschließlich brutalsten Vergewaltigungen in allen erdenklichen Varianten und Weiterverkauf von einem "IS-Kämpfer" oder Funktionär an den nächsten, bis einer sie in Sicherheit bringt. Aber wie ihre Leidensgenossinnen aus ihrer patriarchalischen Kultur muss sie damit rechnen, dass ihre Familie sie verstoßen wird, weil sie nicht mehr Jungfrau ist.
Im Buch wird das alles ohne Pathos, meist sehr sachlich berichtet. Co-Autor Kizilhan streut einige Zusatzinformationen zu den von Shirin berührten Themen ein. Gerade durch die Kombination aus fast schon distanzierter Autobiografie und Experteninformation wirkt diese entsetzliche Offenbarung so glaubwürdig und so verstörend bis an die Grenze des Erträglichen. Der Leser, die Leserin fragt sich, wie es dieses Mädchen, das als jesidische Jungfrau vor seinem Martyrium absolut nichts über Sexualität wusste, nach allem Durchlebten ertragen konnte, davon relativ detailliert Zeugnis abzulegen, auch wenn es eine Begleitung durch den Psychiater und Traumatologen Dr. Kizilhan und die Journalistin Alexandra Cavelius gab. Shirins Kraft erstaunt schon bei der Lektüre ihrer Geschichte, umso mehr aber der Umstand, dass die junge, in einer für den Westeuropäer unvorstellbar strengen Moral erzogene Frau darüber sprechen kann.
"Ich bleibe eine Tochter des Lichts" gibt einen extrem verstörenden Einblick in die infamen Praktiken des "IS" bezüglich Andersgläubiger, die für sie keine Menschenwürde haben, und insbesondere hinsichtlich der "erbeuteten" Mädchen und Frauen, die ab einem Alter von neun Jahren als Sexsklavinnen "verwendet" und auch in diverse islamische Länder verkauft werden, darunter, wen wundert's, Saudi-Arabien.
Ein schönes Buch ist das nicht, ganz im Gegenteil, aber ein gutes und wichtiges Buch. Wer sich wirklich auf die Lektüre einlässt, wird schlaflose Nächte haben, etliche Fragen an die deutsche und internationale Flüchtlingspolitik stellen und vieles mehr mit anderen Augen sehen.
Eine
Leseprobe bietet die Verlagsseite.