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Als kleiner Junge wird Juri von einer Bäuerin auf einem ukrainischen Feld gefunden. Er ist durchgefroren und spricht zunächst nicht. Trotz Gegenwehr ihres Mannes und der vielen Söhne kümmert sie sich um ihn, versucht, ihm ein Zuhause zu geben. Doch die Situation eskaliert und Juri flieht in den Wald. Ein Militärtransporter liest ihn auf und bringt ihn in ein Waisenhaus. "Teufelsmaul" hatte der Bauer ihn aufgrund seiner Lippenspalte genannt und unter den anderen Waisen hat "Hasenscharte" es kaum besser als bei dem brutalen Bauern im Wald. Über die Jahre bleibt er ein Einzelgänger, wird verspottet und gemieden. Bis eines Tages hochrangige Militärs unter den Waisenjungen nach Nachwuchs suchen. Juri wird ausgewählt. In einem ehemaligen Kloster am Schwarzen Meer erhält er mit einigen anderen eine lang währende Ausbildung. Und dann ist es schließlich soweit - mitten im Kalten Krieg wird er als Agent in die USA geschickt. Dort soll er leben, verdeckt, unter falschem Namen und auf Aufträge warten. Seine neue Identität ist Billy Budd ...
Die Geschichte des "Teufelsmauls", der vom sowjetischen Staat ausgebildet, und dann undercover in die USA geschickt wird, ist in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt. In der Zeit des Kalten Krieges waren die Fronten verhärtet, die Vorurteile gegenüber dem "Feind" immens und die gedanklichen Mauern geradezu himalayagroß. Solange die Menschen von der Lebensart, Kultur und den Bewohnern des Gegners nicht mehr wussten, als ihnen berichtet wurde, konnten Hass, Neid und Feindschaft wurzeln und wachsen. Darf dann aber jemand das fremde Land und die Menschen dort selbst kennenlernen, weichen die gewachsenen negativen Vorstellungen oft auf und mögen sogar in die andere Richtung umschlagen. Diesen gesamten Zyklus macht Jerome Charyns Protagonist durch. Vom verspotteten und misshandelten Waisenjungen, über den in abgeschotteter Elite-Ausbildung geformten sowjetischen Militär-Agenten bis hin zum reflektierenden und sich frei machenden jungen Mann, der ein selbstbestimmtes Leben führen möchte.
Bereits 1991 erschien dieser Comic in deutscher Sprache, damals in der "Edition Kunst der Comics". Splitter hat ihn jetzt aufgearbeitet und neu herausgegeben. Die Story ist zeitlos, die Angst vor dem Fremden, das die Menschen selbst noch nicht kennenlernen konnten, aktuell wie jederzeit. Runtergebrochen hat Charyn hier eine Coming-of-Age-Story geschrieben, die sowohl politische als auch psychologische Aspekte erfasst. So grotesk und abstoßend der Handlungsverlauf auch an vielen Stellen ist, so befreiend ist doch das Gefühl, das den Leser nach der Lektüre erfasst.
Francois Boucq hat mit seinen Zeichnungen einen großen Anteil an der oft erschreckenden Wirkung der Panels. So eindringlich sind die teils bis ins Groteske verzerrten Gesichter, Personen und Bilder. Farblich hält er alles in Pastelltönen und gibt dem Ganzen damit ein leicht verwaschenes und skurriles Ambiente - sehr gut abgestimmt auf den Verlauf der Geschichte.
Insgesamt war "Teufelsmaul" es allemal wert, frisch gelettert und neu herausgegeben zu werden. Comics oder - modern ausgedrückt - Graphic Novels dieser Art sollten nie in Vergessenheit geraten, gerade eben weil sie nicht bequem zu lesen sind. Ein verstörendes, tragisches und zugleich befreiendes Erlebnis.
Auf der Webseite des Splitter Verlags steht eine Leseprobe zur Verfügung: hier reinlesen.