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Es herrscht Katerstimmung in der Detektei Liebergesell. Denn nach einem Brandanschlag unbekannter Neonazis ist diese zerstört. Ziellos und voller Trauer, gebrochen, sitzt die Chefin Edith Liebergesell mit ihrem Mitarbeiter Tabor Süden, dem Ich-Erzähler, in einem Café beisammen und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Nicht dabei ist Leonhard Kreutzer, er ist bei den Ermittlungen ums Leben gekommen. Doch irgendwie muss es ja weitergehen und so findet sich Tabor Süden in der Wohnung von Emma Fink wieder, die ihren Chef Justus Greve, einen Münchner Obst- und Gemüsehändler, vermisst. Mysteriös erscheint, dass diese behauptet, Greves Lebensgefährtin Anita Kurth nicht zu erreichen, obwohl Süden diese bald darauf in ihrer Wohnung antrifft. Bei seinen Nachforschungen scheint Süden dennoch nicht so recht voranzukommen, zumal seine Chefin weiterhin den Fortbestand der Detektei infrage stellt. Erst als Emma Fink ihren Suchauftrag zurückzieht, wittert Süden, dass hier etwas faul ist.
Die Suche nach Vermissten war immer eine Suche nach Leerstellen und Lebenslügen, nach geborstenen Träumen und grauen Tapetentüren, die zu Abstellkammern voller Schatten führten.
Immer wieder begegnet Tabor Süden, dem Detektiv aus der Feder Friedrich Anis, in seinem 20. Fall die Vergangenheit. In unmittelbarer Form ist dies zunächst der letzte Fall, bei dem nicht nur die Detektei zerstört wurde, sondern auch sein Kollege Leonhard Kreutzer den Tod fand. Nicht nur deshalb plagen Süden immer wieder Schuldgefühle, denn er fühlt sich zudem für den Selbstmord Martin Heuers, einen Jugendfreund, mit dem er seine Ausbildung bei der Polizei begonnen hatte, verantwortlich. Weiterhin tauchen im Verlauf der Ermittlungen die Erinnerungen an Südens Jugendliebe Bibiana tauchen auf. Symbolhaft erscheint außerdem die nächtliche Begegnung mit einer gewissen Frau Kargus, deren Bruder mit sechzehn Jahren der gutbürgerlichen Enge am Starnberger See entfloh und kurz vor dem Gespräch mit Süden nach langer Abwesenheit wieder aufgetaucht ist. Schließlich erhält der Fall selbst durch Hintergründe, die in der Vergangenheit liegen, eine ganz andere Wende als zunächst gedacht.
Weil Südens Chefin Edith Liebergesell nach den Geschehnissen im letzten Fall jeglicher Lebenssinn abhandengekommen ist, tritt in diesem Band mehr und mehr Südens Kollegin Patrizia Roos an seine Seite. Wahrscheinlich ist es sogar ihr Verdienst, dass Tabor Süden nicht in den "Trümmern des Alltags" verschüttet geht, sondern aufsteht und sich auf die Suche nach dem vermissten Geschäftsmann Justus Greve begibt. Vielleicht noch mehr als in den Fällen zuvor wird Süden so bei den Ermittlungen zu einem aufmerksamen Beobachter. Mit viel psychologischem Gespür lenkt er dabei im Verlaufe der Ermittlungen die Gespräche und begibt sich in sein Innerstes, um den Dingen - die weit über den aktuellen Fall hinausgehen - auf den Grund zu gehen. Auch wenn er gerade zu Beginn "bebiert" und nicht ganz Herr seiner selbst ist, ist er in den entscheidenden Momenten hellwach.
Wie so oft war ein Mensch verschwunden, den niemand kannte.
Neben dem eigentlichen Fall, der eigentlich gar nicht so besonders ist und dennoch am Ende, das gewisse Etwas besitzt, weiß Friedrich Ani trotz der Kürze des Romans immer wieder Seitenhiebe einzustreuen. Mal ist es die "unfreundliche" und "lausige" Münchner Gastronomie, ein andermal sind es die horrenden Mietpreise oder die rücksichtlosen Fahrradfahrer im städtischen Straßenverkehr.
Was den Band von vielen anderen Kriminalromanen abhebt, ist nicht zuletzt die durchgängige Erzählperspektive in der Ich-Form, die auf Perspektivwechsel gänzlich verzichtet und so viel Raum für die Gedanken des Hauptprotagonisten Tabor Süden lässt. Auch wenn dabei immer wieder die oben angesprochene Verarbeitung der Vergangenheit im Mittelpunkt steht, so treibt Ani die Ermittlungen "straight" voran. Zugleich stellt der Leser an zunächst nebensächlich wirkenden Textstellen fest, dass vieles sinnhaft miteinander zusammenhängt und dem Fall eine tiefere Bedeutung verleiht. Und dann ist da auch noch die Sprache Friedrich Anis, die sich mit ihren bildhaften Wendungen von gewöhnlichen Kriminalromanen auf so wunderbare Weise abhebt.
FAZIT: Ein wunderbarer Kriminalroman: wortstark, sinnig und mit dem gewissen Etwas! Schade, dass dies vermutlich der letzte Fall für Tabor Süden war.
Weitere Informationen sowie ein Blick ins Buch finden sich auf der Webseite des Verlags.