1895, London: Emilia Ricoletti betritt in ihrem Brautkleid den Balkon eines Hauses und feuert von dort wahllos auf Passanten auf der Straße, um sich anschließend vor den Augen der Öffentlichkeit selbst zu erschießen. Wenige Stunden später scheint sie von den Toten wieder auferstanden zu sein, und begeht auch noch den Mord an ihrem Mann. Sherlock Holmes und sein Freund Dr. Watson sind sich sicher, dass es auch für diesen Fall eine natürliche Erklärung gibt.
Sherlock Holmes ist wieder da! Also, so halb. Die "Braut des Grauens" ist ein stark inszeniertes Zwischenstück, das die bereits erschienene dritte Staffel mit der kommenden vierten inhaltlich verbindet. Nach dem unfreiwilligen Ableben des Widersachers Charles Magnussen sollte Sherlock für seine Taten ins Exil gehen, doch anscheinend ist es dem verstorbenen Moriarty irgendwie gelungen, einen weiteren seiner Pläne zu verwirklichen. Das Empire braucht seinen berühmten Detektiv. Und so beginnt der Clou dieses Films, denn der Fall, den Sherlock Holmes hier zu lösen versucht, spielt sich nur in seinem Kopf und in wenigen Minuten Echtzeit ab.
Das gibt den Autoren genial einfach die Möglichkeit, Holmes und Watson in ein viktorianisches Setting zu transferieren, das neben vielerlei skurrilen Situationen, wie einem fettleibigen Mycroft, der mit seinem Bruder darüber deduziert, wann er denn sterben wird, mehrere Dinge zugleich bieten kann. Grundlegend eine großartige Unterhaltung über die gesamte Spielzeit, die den "Charme" zwischen Holmes und Watson erneut aufgreift. Bisweilen träge, da auch hier das erste Kennenlernen aufgegriffen wird, aber im späteren Verlauf entschädigen dafür bissige Sprüche und witzige Situationen. Hinzukommen zwei weitere Dinge. Zum einen der Bezug zu Moriarty. Dieses - zum aktuellen Zeitpunkt - paradoxe Geschehen, dass ein Toter die Nachricht "habt ihr mich vermisst?" verbreiten kann, muss Sherlocks Gehirn auf seine Art verarbeiten, und was bietet sich da besser an, als einen ähnlichen Fall (ein Toter steht wieder auf) in seinem Gedankenpalast zu lösen? Die Idee an sich ist herrlich und so gut umgesetzt, dass dieser Spielfilm noch abstrakter und überdrehter als die Serie ausfällt.
Zum anderen ist der eigentliche Fall ordentlich. Benedict Cumberbatch und Martin Freeman ermitteln "gegen" die Braut und lösen das Rätsel mithilfe von ihren Gefährten aus dem 21. Jahrhundert, die auch in der Vergangenheit ihre Rollen übernehmen. Mrs. Hudson ist daher ebenso dabei, wie Inspektor Lestrade und Molly Hooper, deren Rolle sich der damaligen Zeit allerdings mehr beugen musste, als die der anderen. Die Auflösung ist überdreht, aber nachvollziehbar, insbesondere, wenn im Hinterkopf bleibt, dass Sherlock sich diesen Fall in seinen Gedanken zurechtlegt und sich so in einigen Details auch seine Eigenschaften widerspiegeln. Seine arrogante Art ist daher ebenso zu finden, wie sein messerscharfer Verstand und auch seine Überheblichkeit, die gepaart mit seinem Drogenkonsum grazil in der Handlung verarbeitet wird.
Als wäre ein weiterer Fall zur Überbrückung der Wartezeit bis zur nächsten Staffel nicht schön genug, so befindet sich auf der Blu-ray einiges an Bonusmaterial, das sich wirklich lohnt. Knapp 90 Minuten an Extras lassen den Fan der Serie hinter die Kulissen schauen, ein Blick, der Spaß macht.
Kurzum: "Braut des Grauens" ist abgedreht und überzeichnet, passt in diesem Kontext aber hervorragend in das Konzept eines Falls in Sherlocks Gedankenpalast. Sherlock funktioniert auch im viktorianischen London.