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Ein wenige Tage alter Säugling stirbt im Mercy-West Haven Hospital von Connecticut. Für den Vater des Babys, Turk Bauer, steht die Schuldige sofort fest: Ruth Jefferson, die einzige schwarze Säuglingsschwester und Hebamme der Abteilung. Da Bauer dunkelhäutige Menschen hasst, hat er dafür gesorgt, dass Ruth zugunsten einer weißen Angestellten von der Pflege seines Sohnes abgezogen wird. Als es zu einem Notfall kommt und Ruth zufällig als Einzige anwesend ist, gerät sie in eine schreckliche Zwickmühle: Sie hat die ausdrückliche Weisung erhalten, das Kind nicht anzufassen, doch ohne es zu berühren, kann sie nicht versuchen, es zu retten. Was auch immer Ruth tut, wird gegen Regeln verstoßen.
Es erfolgt eine Festnahme wegen Mordes. Die junge und ambitionierte Pflichtanwältin Kennedy McQuarrie informiert sich gründlich über alle Details und baut eine sachliche Verteidigung auf, doch letztlich nützt das nicht viel, denn es geht letztlich um noch viel mehr als den Tod des Säuglings, und so entwickelt der Fall eine von starken Emotionen getriebene Eigendynamik.
Seit vielen Jahren arbeitet Ruth Jefferson als Hebamme und Säuglingsschwester im Mercy-West Haven Hospital, Connecticut. Nie gab es an ihrer Arbeit etwas zu beanstanden. Ruth ist die einzige schwarze Pflegekraft in der Abteilung; mühsam versucht sie, sich auch privat in die weiße Mittelschicht zu integrieren und insbesondere ihrem begabten Sohn gute Zukunftschancen zu bieten. Für die Witwe eines in Afghanistan gefallenen Soldaten ist das nicht leicht.
Als der Rassist Turk Bauer sie für den Tod seines neugeborenen Söhnchens verantwortlich macht und ihr Arbeitgeber und ihre zuvor als Freundinnen betrachteten Kolleginnen sie augenblicklich fallen lassen, bricht für Ruth eine Welt zusammen. Plötzlich wird ihr bewusst, wie präsent der Rassismus in ihrem Leben ist und wie sehr sie ihn immer ausgeblendet hat. In ihrer Wut, Hilflosigkeit und Verzweiflung fährt sie die Verteidigungsstrategie ihrer Anwältin an die Wand. Ihr Sohn beginnt, sich von ihr abzuwenden. Und die Verteidigerin muss einsehen, dass sie in ihrem Stolz auf ihren Einsatz für Schwarze selbst diskriminiert.
Jodi Picoult greift ein Thema auf, das heute so aktuell erscheint wie zu Zeiten von "Wer die Nachtigall stört". Das Vorhandensein eines Sündenbocks aus einer Minderheit macht die Klärung einer komplexen Schuldfrage so erfreulich einfach, und Ruth Jefferson war schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort beziehungsweise im Dienst. Es gelingt der Autorin, in einem atmosphärisch dichten und emotionsgeladenen Roman aufzuzeigen, dass auch in einer schon lange multikulturellen Gesellschaft wie der US-amerikanischen plumper, massiver Rassismus toleriert und implizit sogar unterstützt wird – sogar und gerade im Zusammenspiel von Polizei und Justiz.
Geschickt wählt die Autorin parallel mehrere Erzählperspektiven, die im Hörbuch von verschiedenen Sprechern verkörpert werden, was sehr zur Spannung beiträgt: jene von Ruth selbst, die ihrer Pflichtverteidigerin Kennedy und die von Turk Bauer. Alle Sprecher bringen sich vorzüglich ein, sodass die Absicht der Autorin, den Fall aus konträren Blickwinkeln zu beleuchten, bestens umgesetzt wird.
Ein Wermutstropfen mag die totale Kehrtwende eines Protagonisten am Ende sein. Saulus-Paulus-Bekehrungen ereignen sich im wahren Leben vor allem nach so erbitterten Positionierungen wie in Ruths Prozess einfach nicht. Da wäre weniger doch mehr gewesen.
Insgesamt aber ist "Kleine große Schritte" ein bis zuletzt fesselndes, aufwühlendes und entlarvendes Werk mit großartig aufgebauten Charakteren, gerade auch in der starken Hörbuchfassung, auf welche die Bezeichnung "Pageturner" zwar nicht angewendet werden kann – die CD-Wechsel erfolgen jedenfalls wie im Flug.
Eine Hörprobe gibt es hier.
Die sechs CDs befinden sich in einer attraktiv aufgemachten Multibox.