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 Das Buch der toten Tage

Autoren: Marcus Sedgwick
Sprecher: Dietmar Mues
Übersetzer: Friedrich Kur
Verlag: Audiolino

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Boy hat Angst. Fast hätte er den Trick vermasselt und Valerian wird furchtbar wütend sein. Atemlos schleicht Boy zu der verborgenen Loge, die für den Direktor des Theaters reserviert ist. Mit einem Metallstreifen verschafft er sich Zugang und betrachtet die Bühne. Gerade führt Valerian seinen letzten Trick vor. Er verschwindet auf der einen Seite der Bühne und keine Sekunde später taucht er auf der anderen Seite der Bühne wieder auf. Mit etwas Rauch und einem Knall garniert ist dies immer eine Sensation für das Publikum. Boy hat noch nicht herausgefunden, wie Valerian das macht, aber er ist sich sicher, dass es ein Trick ist.
Mit einem entsetzten Aufschrei springt er vom Sessel auf. Hinter ihm steht Valerian und knurrt ihn wütend an. Wie hat der Magier nur in wenigen Sekunden vermocht von der Bühne in diese Loge zu gelangen? Boy braucht Minuten für den Weg.
Angstvoll folgt er dem Magier zur heruntergekommenen Villa, die die beiden in einem der ärmeren Viertel der riesigen Stadt bewohnen. Ihre Glanzzeit liegt Jahrzehnte zurück und nun verfällt das Haus mehr und mehr. Sein Herr, ehemals angesehenes Mitglied der Akademie, ist seit fünfzehn Jahren verstoßen und verarmt und fristet als Magier eines mittelmäßigen Theaters sein Leben. Nur seine Studien, allein und fern der ehemaligen Kollegen, beschäftigen ihn Nacht für Nacht. Nun aber ist sein Herr in einer Stimmung, die Boy, vor vielen Jahren von Valerian auf der Straße aufgelesen und zu seinem Sklaven gemacht, nicht einschätzen kann. Zwar war sein Herr immer schon jähzornig und böse, aber seine Stimmungen schwankten und es gab auch gute Zeiten. Nun aber ist Valerian immer in düsterer, abwesender Stimmung und wenn er mit Boy spricht, ist er ätzend vor Bosheit. Aber schlimmer noch ist es für Boy, dass sein Herr Angst hat, sogar Todesangst.
Er und Willow, ein Mädchen, das ebenfalls im Theater arbeitet, werden unversehens in eine tödliche Gefahr verstrickt, die seinen Meister an Sylvester, in nur vier Tagen, vernichten soll. Rettung verspricht Valerian sich von einem Buch, dem "Buch der toten Tage", das er mit Hilfe von Boy und Willow verzweifelt zu finden versucht.

Das 2005 erschienene Buch von Marcus Sedgwick ist seit Anfang 2006 endlich als Hörbuch erhältlich. Endlich, weil sich die düstere, mystisch angehauchte Geschichte hervorragend für das Medium Hörbuch eignet. Mit wenigen Effekten, einer unheilvoll klingenden Musik und einer beeindruckenden Länge von 300 Minuten - das Buch hat nur 283 Seiten - liegt es nun in der Edition von "Audiolino" vor. Warum es von diesem Verlag allerdings in der Kategorie "ab neun Jahre" angeboten wird, ist mir völlig schleierhaft. Es ist unglaublich spannend, teils grausam, tiefgründig und kompliziert. Einige Szenen sind eindeutig widerlich und so abgründig böse, dass ich ein Alter von vierzehn Jahren als das Mindeste angeben würde.
Neben dem beeindruckenden Text ist es vor allem der Leistung von Dietmar Mues zu verdanken, dass man dieses Hörspiel beinahe atemlos und möglichst ohne Pausen genießt. Es ist brillant erzählt, perfekt von ihm intoniert und entsprechend den unterschiedlichen Charakteren Boy und Valerian gelungen akzentuiert. Der Sprecher, bekannt aus Produktionen wie "Die Schatzinsel", "Der Zahlenteufel", "Jack the Ripper", "Blutorangen", "Der Wanderchirurg", "Small World", "Aldebaran", "Solea", "Der Graf von Monte Christo" und "Churmo" versetzt den Hörer mit sicherem Gespür für Untertöne und Nebensächlichkeiten in die Welt des 19. Jahrhunderts. Er vermittelt ein lebendiges Bild dieser riesigen, lebendigen Stadt und den furchtbaren Bedingungen, unter denen die meisten Menschen dort zu leiden haben.
Besonders die Charaktere Boy, Willow und Valerian werden in einer Deutlichkeit und einem Facettenreichtum von Marcus Sedgwick ausgearbeitet, dass man die drei zu kennen glaubt - die Not des Jungen, die Hoffnung des Mädchens und die innere Seelenqual des vordergründig so mächtigen und unnahbaren Magiers. Leider sind alle anderen Figuren in diesem Hörbuch "Randerscheinungen", nicht wichtig und kaum erwähnt. Dieses Hörbuch ähnelt einem Kammerspiel, das einzig die Pein und die Not der drei Protagonisten beleuchtet. Sie existieren zwar in einer Welt, haben Berührungspunkte mit ihr, leben aber wie isoliert und den tatsächlichen Ereignissen entrückt. Sie agieren wie Schauspieler vor einer Kulisse, die austauschbar scheint. Dies wirkt allerdings nie konstruiert oder aus Versatzstücken bestehend, sondern eher schicksalhaft und notwendig. Alle Ereignisse fokussieren auf diese drei Menschen und laufen zwangsläufig auf eine Katastrophe hinaus.

Fazit: An Spannung und Atmosphäre ist dieses Hörbuch kaum zu überbieten. Dank einem gut aufgelegten Dietmar Mues und kaum merklichen Auslassungen ist dieses Hörbuch dem Buch unbedingt vorzuziehen. Dieses Buch scheint für dieses Medium geschrieben worden zu sein und wird durch Musik, Geräusche und Sprecher zu einem einmaligen Erlebnis. Über den Schluss der Geschichte ließe sich allerdings streiten - sie kann als abrupt und enttäuschend definiert werden, aber auch als zwangsläufiger Schlusspunkt, der im Sinne der düsteren Geschichte Fragen offen lassen muss, die keiner Antwort bedürfen oder für die es keine Antwort gibt.


Wer die Fortsetzung lesen möchte, dem sei die Rezension des Buches empfohlen. Link: "Bei Einbruch der Nacht"

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. Januar 2006 | ISBN: 3938482273 | Laufzeit: 300 Minuten | Originaltitel: The Book of dead Days | Preis: 19,95 Euro

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