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 Ästhetische Grundbegriffe

Historisches Wörterbuch in 7 Bänden (Studienausgabe)


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis
Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Warum eigentlich nicht? Weil bei Geschmacksurteilen offensichtlich Verstehens- und Wahrnehmungsprozesse greifen, die sich den Instrumenten rationaler Argumentation widersetzen: Nicht in erster Linie Sachwissen und Logik sind es, die den ästhetischen Zugriff auf die Welt begründen. Vielmehr spielen die schwer zu greifende Intuition des Betrachtenden und gerade die Vagheit des Gegenstandes, die Brüchigkeit des Erkenntnisprozesses eine entscheidende Rolle.
Widerspricht vor diesem Hintergrund ein Projekt wie das eines historischen Wörterbuchs ästhetischer Grundbegriffe nicht in gewisser Weise seinem eigenen Gegenstand? Das täte es zweifelsohne, wenn es so täte, als ließe sich die Geschichte der Ästhetik als eine teleologische Fortschrittsgeschichte ohne Brüche und Uneindeutigkeiten erzählen. Das von den Herausgebern im Vorwort umrissene Ziel der "Ästhetischen Grundbegriffe" ist es jedoch, Orientierung in die von Diskontinuitäten geprägte Geschichte der Ästhetik zu bringen und damit als intra- und interdisziplinäres Nachschlagewerk eine Grundlage für den aktuellen Dialog innerhalb und zwischen verschiedenen Bereichen der ästhetischen Forschung einerseits und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit andererseits bereitzustellen.
Dieses Lexikon, das der Metzler Verlag zwischen 2000 und 2005 in seiner Erstauflage herausgegeben hat, ist die Frucht einer über zehnjährigen Zusammenarbeit des Berliner Zentrums für Literaturforschung und des Instituts für Romanische Sprachen und Literaturen der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Für die Texte konnten die Herausgeber Karlheinz Barck, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt, Burkhart Steinwachs und Friedrich Wolfzettel rund 150 in ihren jeweiligen Fachbereichen einschlägige und über die Grenzen ihrer Disziplin hinaus renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gewinnen. Vertreten sind vor allem Vertreter der Philosophie und der Literaturwissenschaften, aber auch andere Disziplinen.

Das Werk setzt sich aus 170 monographisch konzipierten Einzelartikeln auf insgesamt knapp 6000 Seiten zusammen. Aufgenommen wurden, der Beschaffenheit ästhetischer Begriffe als 'fuzzy concepts' entsprechend, ganz heterogene Begriffsgruppen, die von den Redakteuren als bedeutsame Leitbegriffe in der heutigen Diskussion um Fragen der Ästhetik wahrgenommen wurden. Bereits beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses wird der Leser sich darüber gewahr, welch unterschiedliche Begriffsklassen hier Eingang finden und wie eng die behandelten Themenkomplexe teilweise miteinander verzahnt sind. Es finden sich ganz unterschiedlich einzuordnende Schlagworte, von "Absenz" bis "Darstellung" (Band 1), von "Dekadent/Dekadenz" bis "Grotesk" (Band 2), von "Harmonie/harmonisch" bis "Material" (Band 3), von "Medien/medial" bis "populär/volkstümlich/Popularkultur" (Band 4), von "Postmoderne/postmodern" bis "Synästhesie" (Band 5) und von "Tanz" bis "Zeitalter/Epoche" (Band 6). Der siebte Band enthält neben einem ausführlichen Begriffs- sowie einem Personen- und Werkregister noch einige supplementäre Artikel zu Begriffen von "Abstrakt/Abstraktion" bis "Zeichen/Semiotik der Künste".
Die Begriffe und Begriffskomplexe werden in ihrer je nach zeit- und kulturspezifischem Kontext unterschiedlichen Diskursivierung erläutert. Dabei gelingt den Verfassern und Verfasserinnen eine Kombination aus angemessener inhaltlicher Tiefe und verständlicher Aufbereitung. Wer lediglich auf der Suche nach einer klaren Definition oder nach einem raschen und oberflächlichen Einblick in die Diskursgeschichte eines Begriffs ist, für den sind die "Ästhetischen Grundbegriffe" nicht das Mittel erster Wahl. Zwar lässt sich mit einem Blick in die jeweilige Einleitung oder auch den gezielten Zugriff auf einzelne Artikelabschnitte mit Hilfe der Übersichten über die Artikelgliederung oder des im siebten Band angehängten Begriffskatalogs ein Schlagwort durchaus schnell in einen Zusammenhang einordnen. Wer sich aber wirklich mit den dargestellten Phänomenen beschäftigen will, muss sich schon mit ein wenig mehr Zeit darauf einlassen. Schließlich reicht die Länge der Artikel bis zu 68 Seiten (für das Lemma "Werk")! Belohnt wird man mit so spannenden wie einsichtsreichen Streifzügen durch die Geschichte der westlichen Mentalitäts- und Geistesgeschichte, die vor allem jedoch die Basis für eine Auseinandersetzung mit dem Hier und Heute ästhetischer Produktion und Rezeption bereitet.
Kohärenz erhalten die Artikel durch einige Gemeinsamkeiten im Aufbau. Dem Lemma in der Überschrift folgt jeweils eine Übersetzung in den europäischen Hauptsprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch), sofern möglich auch noch in Altgriechisch und Latein. Es folgt eine kurze Gliederungsübersicht des jeweiligen Textes. Dieser selbst beginnt in der Regel mit einer einleitenden Erläuterung und Problematisierung des jeweiligen Begriffs und seiner Etymologie. Der Aufbau der einzelnen Artikel gestaltet sich jedoch individuell, in Abhängigkeit vom Thema und der Herangehensweise des jeweiligen Autors. Eine Bibliografie mit den heute maßgeblichen Sekundärtexten zum Thema runden jeden Eintrag ab, während ein Verzeichnis der entscheidenden Quellentexte im Anmerkungsapparat der Fußnoten quasi mitläuft.

Nur wenige Jahre nach ihrer Ersterscheinung sind die "Ästhetischen Grundbegriffe" schon fast als ein Klassiker unter den geistes- und kulturwissenschaftlichen Hilfsmittel zu bezeichnen, an dem Forschende, Lehrende und Studierende nicht vorbeikommen. Umso erfreulicher ist es, dass das Lexikon in seiner dritten Auflage nun als relativ preisgünstige Studienausgabe zu haben ist. Die knapp 200 Euro, die es für die sieben broschierten Bände im Pappschuber hinzulegen gilt, sind zwar noch immer kein Pappenstiel, aber die Sache mit Sicherheit wert. Und gerade für ambitionierte Studenten könnte die Studienausgabe der "Ästhetischen Grundbegriffe" zu einem Weihnachts- oder Geburtstagswunsch werden, für den Eltern oder Großeltern als Investition in die Bildung und geistige Entwicklung ihrer Zöglinge auch gerne einmal tiefer in die Tasche greifen … Wer sich einmal daran gewöhnt hat Schlagworte, mit denen mancher Studienanfänger in Referaten und Hausarbeiten vielleicht noch ganz naiv jongliert, erst einmal in den "Ästhetischen Grundbegriffen" nachzuschlagen, der wird im Laufe seines Studiums, für sein auf diese Weise steigendes Problembewusstsein, sicherlich belohnt werden.

Silke Hettich



Softcover | Erschienen: 13. August 2010 | ISBN: 978-3476023537 | Preis: 199,95 Euro | 5890 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch

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