Die Aktfotografie ist möglicherweise die schwierigste fotografische Disziplin, denn der Umstand, dass sich das Modell dem Fotografen nackt und somit gewissermaßen ganz schutzlos präsentiert, erfordert ein großes Vertrauen zwischen den beiden Akteuren. Doch auch die Gratwanderung zwischen Kunst und Pornographie erweist sich manchmal als schwierig. Andererseits gibt es keine bessere Möglichkeit als ein Aktfoto, die Schönheit des menschlichen Körpers einzufangen und zu interpretieren.
Der erfolgreiche Aktfotograf Pascal Baetens führt mit dem vorliegenden Buch in seine Disziplin ein und bietet dem interessierten Betrachter zugleich eine Reihe von wundervollen, inspirierenden großformatigen Fotos, sodass dieses Werk auch als Bildband betrachtet werden kann.
Das erste Kapitel befasst sich mit der Geschichte der Aktfotografie, wobei der Autor sowohl auf frühere Aktdarstellungen allgemein als auch auf große Fotografen der letzten anderthalb Jahrhunderte eingeht und Strömungen aufzeigt. Im zweiten Kapitel geht es um unterschiedliche Stile in der Aktabbildung und um die Grundlagen der Aktfotografie - etwa die Wahl von Farb- oder Schwarzweißdarstellung und die Arbeit mit dem Modell.
Es schließt sich ein Abschnitt zur Technik an, wobei natürlich vor allem die Beleuchtung detailliert betrachtet wird, ebenso aber auch die Wirkung von Posen des Modells, das Spiel mit der Blende und andere Möglichkeiten, Schärfe und Unschärfe gezielt einzusetzen; zudem sind die Bildgestaltung und die Wahl des Aufnahmeortes wichtige Themen.
Im Kapitel "Nachbearbeitung" erhält der Leser Hinweise darauf, wie er durch Tricks am Computer ein Bild verändern oder optimieren kann. Das letzte Kapitel stellt zehn berühmte zeitgenössische Aktfotografen vor, die wiederum eines ihrer Lieblingsfotos inklusive einer bebilderten, protokollierten Entstehungsgeschichte und weitere Fotos aus ihrem Portfolio präsentieren. Abgeschlossen wird das Buch durch "häufig gestellte Fragen" und die zugehörigen Antworten.

Dieses Werk stellt dem Einsteiger eine Fülle von Informationen und Anregungen für die Produktion gelungener Aktfotos zur Verfügung. Grundsätzlich sind keine Vorkenntnisse vonnöten; der Umgang mit einer Spiegelreflexkamera sollte dem Leser allerdings vertraut sein, wenn er optimal mit dem Buch arbeiten möchte. Dennoch betont der Autor, dass nicht unbedingt eine ausgefeilte Technik zu den interessantesten Aufnahmen führt: Ohne gute Ideen und ein kooperatives Modell nützen die beste Kamera und das aufwändigste Studio nichts.
Wie man überhaupt ein Modell findet, welche Voraussetzungen, auch juristischer Natur, für die Aktfotografie gelten, auf welche Weise ein aussagestarkes Foto entsteht, und wie es sich gegebenenfalls noch digital optimieren lässt, erfährt der Leser neben vielen anderen Grundlagen bei der Lektüre dieses Buchs. Es ist reich, fast überreich mit Anschauungsmaterial illustriert, das durchaus auch die Auswirkungen von weniger geglückten Perspektiven, Gestaltungsversuchen und Posen darstellt. Vor allem zu Beginn der Abschnitte findet man großformatige Fotos, die Freude an der Aktfotografie vermitteln und Vorfreude auf eigene Experimente wecken.
Ohne überzogene Ansprüche - der Autor wendet sich vor allem an Interessierte, die sich der Aktfotografie zumindest anfangs als Hobby zuwenden möchten - vermag das Buch den Leser dahin zu führen, dass er schließlich selbst gelungene Akte zustande bringt.
In diesem Zusammenhang sind auch die zehn Fotografenportraits hervorzuheben, in denen, wie erwähnt, die Entstehungsgeschichte sehr gelungener Aufnahmen dokumentiert wird. Es zeigt sich, dass trotz recht unterschiedlicher Ideen und Interessen die Arbeitsweise erfolgreicher Fotografen sehr ähnlich aussieht, und der Leser kann sich ein Bild von effektivem und diszipliniertem Zusammenarbeiten zwischen Modell und Fotograf machen.
Ein gelungener Leitfaden also. Und auch wenn man als an Fotografie Interessierter nicht unbedingt plant, selbst Aktfotografie zu betreiben, gewinnt man durch die Lektüre dieses Buchs, das nicht zuletzt auch dank des Rückblicks in die Geschichte der Aktfotografie hilft, entsprechende Fotos mit Genuss, kritischem Sachverstand und Respekt vor der Leistung des Fotografen zu betrachten.