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"Alice im Wunderland" ist ein Klassiker der Literatur, den fast jeder kennt. Doch wie mag es sein, die Person zu sein, die Vorbild für die literarische Figur war? Alice Lidell weiß das nur zu gut.
Als Kind wächst sie behütet mit ihren Geschwistern in Oxford auf, ihr Vater ist Dekan der Universität. Zu einem der jungen Professoren haben sie und ihre beiden Schwestern, Ina und Edith, ein besonders gutes Verhältnis, oft nimmt der Mann die drei kleinen Mädchen und ihre Kinderfrau mit auf Ausflüge, erzählt ihnen Geschichten und fotografiert sie. Diesem jungen Mann gelten die ersten Schwärmereien von Alice und Ina, vor allem Alice träumt ihre Kindheit lang davon, eines Tages alt genug zu sein, um ihr Leben mit diesem Charles Lutwidge Dodgson zu verbringen.
Auf einem der Ausflüge erzählt Dodgson die Geschichte der kleinen Alice, die sich langweilt, einem Kaninchen hinterher läuft und in eine wundersame Welt gerät, in der sie fantastische Abenteuer erlebt. Alice bekniet den Mann, diese Geschichte aufzuschreiben, damit sie nicht verloren geht und sie auch dann, wenn sie eines Tages erwachsen ist, in dieser Geschichte als Mädchen erhalten bleibt. Dodgson kommt ihrem Wunsch nach, unter dem Pseudonym Lewis Caroll feiert er damit als Autor seinen Durchbruch.
Doch privat kommt es zum Bruch zwischen Charles Dodgson und der Familie Lidell und Alice wird noch lange bereuen, Vorbild des Buches gewesen zu sein.
Ist es undankbar, in Form eines Welterfolges verewigt zu sein, diese Ehre aber nicht zu wollen? Für Alice Lidell ist es das nicht, sie kämpft ihr ganzes Leben gegen einen Schatten aus der Kindheit, der als Makel über allem liegt, was sie macht. Dies gefährdet in späteren Jahren ihre gesellschaftliche Stellung erheblich, viel Kummer bringt ihr das Buch "Alice im Wunderland". Was genau geschah, das bleibt offen, allerdings kann der Leser durch geschickte Andeutungen, Mutmaßungen und Gerüchte ein ganz gutes Bild darüber erhalten, was hier vorgefallen sein könnte. Dadurch wird das Buch auch ein bisschen zu einer Spurensuche. Der Roman ist komplett aus Alice' Sicht erzählt, dadurch, dass sie sich weigert, über "Alice im Wunderland" und ihre Rolle darin zu sprechen, macht sie die Suche für den Leser schwieriger.
Ihr Charakter wird ihr Leben lang begleitet. Als kleines Mädchen mit erster Schwärmerei für einen viel älteren Mann, als Jugendliche von den typischen Problemen einer Heranwachsenden geplagt, als Erwachsene auf dem glatten gesellschaftlichen Parkett, alle Lebenssituationen dieser Frau werden gelungen dargestellt und überzeugen auch über die Tatsache hinaus, dass diese junge Frau Vorbild für einen Klassiker war.
Viele Themen werden im Buch behandelt, die das ganze sehr spannend und abwechslungsreich machen. Zuvorderst steht natürlich die Frage, was zwischen Charles Dodgson und Alice Lidell vorfiel, dass ihre und seine Familie dieses Erlebnis aus allen Briefen, Tagebüchern und sonstigen Quellen tilgte, es gibt Andeutungen über Dodgsons Freundschaften zu jungen Mädchen, Fotografien und Gerüchte, doch bleibt es immer ein Geheimnis. Aber auch das gesellschaftliche Leben im viktorianischen Zeitalter wird anschaulich dargestellt, Umgangsformen, Mode und Technik, politische Umbrüche fließen in die Handlung ein.
"Alice und ich" beleuchtet das Leben einer Figur, die fast jedem ein Begriff ist, obwohl über die historischen Gegebenheiten kaum etwas bekannt ist. Der Autorin gelingt es hier sehr gut, historische Fakten, Gerüchte und Mutmaßungen so zu verflechten, dass die Übergänge fließend sind und dem Leser sehr viel mehr geboten wird, als er erwartet.