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Die Deutschen sind ein recht eigenartiges Volk. Ob sie das selbst nicht bereits wissen, sei dahingestellt; ahnen dürften sie es bisweilen. Außenstehende erkennen die mehr oder weniger liebenswerten "Macken" natürlich wesentlich besser. Etwa Reisende aus dem Orient, sollten sie auf die Idee kommen, das meistens doch recht kühle und verregnete Land einmal zu besuchen.
Kerim Pamuk stellt sich in seinem Buch als Reiseführer für solche fiktiven Deutschlandreisenden von der Türkei bis Afghanistan, von Jordanien bis Libyen zur Verfügung. Obwohl - eigentlich fängt der Orient bei ihm schon in Bulgarien an. Mag sein, dass dem so ist, es spielt auch keine Rolle, denn im Buch geht es ja um Deutschland.
Und dort erwartet den Touristen manche Überraschung. Nicht nur die Kleidung ist gewöhnungsbedürftig. Dass sich junge Frauen freizügig kleiden, mag man erwartet haben, nicht aber Fünfzigjährige in zu kurzen und zu weiten Hosen. Überhaupt trifft man Körperkult und Jugendwahn in diesem Buch des Öfteren an, wie auch im wirklichen deutschen Leben.
Für den Deutschen nicht unerwartet wird auch der Ordnungswahn aufs Tapet gebracht, der in der Person des Hausmeisters kulminiert, welcher Schulen oder Sporthallen nur in menschenleerem Zustand ertragen kann. Aber auch der Schilderwald und der Amtsschimmel gehören zu den Themen in diesem Zusammenhang.
Die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Geschichte betrachtet Pamuk ebenso wie die "Koevolution" der Deutschen und der in Deutschland lebenden Ausländer, einschließlich der Zäsur nach dem 11.9.2001, nach der es zwar noch Spanier, Italiener und Griechen gab, nicht aber Türken, Afghanen und Iraner, sondern lediglich "Muslime". Dass auch die Religionen in Deutschland vor- und dem Islam gegenübergestellt werden, versteht sich von selbst.
Und so wären noch viele Aspekte zu nennen, unter denen sich in Pamuks Buch die Eigenheiten der Deutschen dem orientalischen Besucher erschließen. Am Ende des kleinen Bandes findet man ein Glossar, denn der Reisende wird, auf sich gestellt, mit Begriffen wie "Sachstandsauskunft", aber auch den Hintergründen der Wortschöpfungen "Ossi", "Wessi", "Fremdschämen" und so weiter wenig anfangen können und möglicherweise ebenso wenig begreifen, was hinter dem Rauchverbot steht, und dass männliche Friseure in Deutschland zwar überwiegend schwul sind, dies aber laut Innung keine Einstellungsvoraussetzung ist.
Kerim Pamuk, türkischer Abstammung und als Neunjähriger nach Deutschland gekommen, ist Kabarettist, und entsprechend nimmt er das typisch Deutsche aufs Korn: humorig, sarkastisch, manchmal ein klein wenig gehässig und polemisch, selten objektiv und immer auch liebevoll.
Es sei an dieser Stelle angefügt, dass Pamuk ebenso treffsicher und amüsant die Eigenheiten der Orientalen präsentiert und aufzeigt, dass, wenn auch die Gegensätze überwiegen, sich Deutsche und Orientalen zumindest darin gleichen, eine Fülle an Absonderlichkeiten zu ihrem kulturellen und religiösen Repertoire zu zählen.
Politische, nicht selten verfehlte Entwicklungen beobachtet Pamuk freilich ebenfalls, und dass hier ein reicher Nährboden für Satire vorliegt, versteht sich von selbst. Ausländer, als billige, einfache Arbeitskräfte ins Wirtschaftswunderland eingeladen, dann, bei Abflauen der Konjunktur, plötzlich verfemt als Besetzer von deutschen Arbeitsplätzen und, sofern arbeitslos geworden, als Schmarotzer von Sozialleistungen - trotz jahre- oder jahrzehntelanger Einzahlungen ins Sozialsystem.
Das Buch wendet sich selbstverständlich nicht an Reisende, sondern an "die Deutschen" sowie in Deutschland lebende Ausländer, auch politisch korrekt und somit auf gehobenem Niveau diskriminierend "Menschen mit Migrationshintergrund" genannt. Und es beziehungsweise sein Autor will natürlich nicht nur unterhalten, sondern auch Kritik üben. Dabei zeigt sich, was gutes Kabarett beziehungsweise gute Satire ist: Die Adressaten werden nicht verletzt; sie blicken in einen Spiegel, der ein bisschen verzerrt, verzeichnet, aber immer ein freundschaftliches Zwinkern erkennen lässt.
So bietet dieses Buch Lesevergnügen pur, jedoch auch eine Hintergründigkeit, die nachdenklich macht, ohne dass politisch korrekte, aufgesetzte Betroffenheit aufkommt. Denn eigentlich mögen sie sich doch, die Deutschen und ihre "Schwarzköpfe". Meistens jedenfalls.