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 Altes Land


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton
Als Vera, gerade einmal fünf Jahre alt und Überlebende eines Trecks aus Ostpreußen, übers Haff geflohen, 1945 auf einem Hof im Alten Land eintrifft und dort mit ihrer Mutter unwillig aufgenommen wird, weiß sie noch nicht, dass dieses alte Haus einschließlich seiner Umgebung sie nicht mehr loslassen wird. Im Ort und bei der unfreiwilligen, verwitweten Gastgeberin ist sie das "Polackenkind" - Flüchtlinge sind damals wie heute nicht die neuen Traumnachbarn.

Vera erbt schließlich den Hof und alle Geschichten, die ihn bevölkern. Sie erbt auch manche problematische Eigenschaft ihrer kalten, hochmütigen Mutter. Als ihre Nichte unverhofft nach der Trennung von ihrem Mann bei ihr auftaucht, den kleinen Sohn an der Hand, erhalten diese modernen Flüchtlinge wie selbstverständlich dauerhaft Unterschlupf. Doch die junge Frau, eine Handwerkerin, sieht den Hof und vor allem das verfallende Haus anders als Vera und trägt auch nicht die Last der zahllosen schrecklichen Geschichten.

Flüchtling sein hat nie Charme, und so muss sich das ostpreußische Mädchen Vera in seinem Zufluchtsort im Alten Land bei Hamburg redlich abkämpfen, um Respekt zu erhalten. Veras Mutter, eine verwitwete Adlige, die auf der Flucht ihren kleinen Sohn erfroren zurücklassen musste, lässt sich von der Bäuerin nicht beeindrucken, bei der sie Obdach gefunden hat. Diese wiederum schlägt sich mit ihren eigenen Problemen herum. Auch sie ist Witwe, und ihr Sohn Karl kommt verkrüppelt an Leib und Seele aus der Kriegsgefangenschaft zurück.

Veras Mutter gründet schließlich in Hamburg eine neue Familie und lässt ihre Tochter auf dem Hof zurück, der dieser nach einigen Jahren als Erbe zufällt. Rau wie ihre eigene Mutter geht sie mit ihren Mitmenschen um. Erst als ihre Nichte Anne, von ihrem Mann betrogen und verlassen, samt dem kleinen Leon bei ihr einzieht, bröckelt die Härte - sowohl der alternden Vera als auch des abweisenden Hauses.
Dieser Roman lebt von Rückblenden, an konkreter Handlung gibt es, gemessen am Umfang, eigentlich gar nicht so viel. Die Autorin arbeitet die Traumata der Flüchtlingsfrauen aus dem Zweiten Weltkrieg auf und macht auf verstörende Weise deutlich, wie sich diese auf die Töchter über Generationen weiter "vererben" in Form von äußerlicher Gefühlskälte und einer unglaublichen Effizienz im Alltag, die über die durch unsägliche Verluste hervorgerufene Leere im Inneren hinwegtäuscht. Den männlichen Gegenpol hierzu bildet Karl, der Sohn der "unfreiwilligen Gastgeberin", ein Bauer und ehemaliger Soldat, den seine Gespenster gnadenlos heimsuchen. Ausgerechnet das Flüchtlingskind Vera findet einen Zugang zu diesem seelisch zerstörten Mann.
Anne wiederum ist in einem schicken Hamburger Szeneviertel aufgewachsen, wo "Öko" und "Bio" zentrale Elemente des Alltags darstellen. Ihre pragmatische Sicht auf ihre Umgebung gibt Vera die Chance einer friedlichen Koexistenz zwischen zwei Frauen unterschiedlicher Generationen – etwas, woran ihre Mutter und die Bäuerin seinerzeit gescheitert sind.

Im Wesentlichen geht es also um diese beiden Frauen, um Lebensgeschichten und -krisen, die sich in ähnlicher Form wiederholen, um Verlust, kaputte Mutter-Tochter-Beziehungen. Natürlich treten auch Männer auf, allerdings nur psychisch schwächliche Exemplare mit ausgesprochenen seelischen Defiziten, die nicht ernst genommen werden können. Hier arbeitet die Autorin mit ausgeprägten Klischees, ebenso wie bei den Öko-Bio-Muttis aus Annes altem Umfeld, den Städtern, die aufs Land ziehen und den Bauern erklären wollen, wie Landwirtschaft funktioniert, und den Bauern selbst. Manchmal wird dieses großzügige Hantieren mit Klischees ein bisschen viel. Nicht eine Figur des Romans wirkt wenigstens halbwegs mit dem Leben zufrieden außer vielleicht Annes kleinem Sohn. Auch erscheint das Alte Land meist abweisend, als ob es nie eine millionenfache Kirsch- und Apfelblüte gäbe.

Doch der Leser kann sich dem Sog dieses Romans, seiner Charaktere und nicht zuletzt des wie eine eigene Figur auftretenden alten Hauses nicht entziehen. Zwar bleiben die Menschen dem Hörer in ihrer Einkapselung ein Stück weit fremd - Nähe zu ihnen lässt sich nicht entwickeln, schon gar nicht Identifikation mit ihnen und wohl auch nur allenfalls begrenzte Sympathie -, sie faszinieren jedoch, und der Hörer möchte wissen, wie es weitergeht, ob sie ihren Frieden finden und ihn miteinander machen können.

Sprecherin Hannelore Hoger ist "Muttersprachlerin" in Bezug auf das Platt, bringt aber die ohnehin oft sehr gemächlich mäandrierende Handlung meist nicht recht in Gang.
Insgesamt dennoch ein Buch, das mit den sorgsam und bei aller Distanz anrührend ausgearbeiteten, spannend und durchaus glaubwürdig ineinander verzahnten wesentlichen Themen aus dem so genannten "Mainstream" klar hervorsticht, auch als Hörbuchedition!

Eine Hörprobe bietet die Verlagsseite.
Die vier CDs werden zusammen mit einem Booklet in einer Multibox geliefert.

Regina Károlyi



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 16. Februar 2016 | ISBN: 9783837130898 | Laufzeit: 313 Minuten | Preis: 19,99 Euro | Sprache: Deutsch

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