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Der Kyberiade zweiter Teil umfasst drei Geschichten von Stanislaw Lem. Sie befassen sich mit der Frage, ob es das vollkommene Glück für alle Wesen im Universum geben kann - oder geben sollte.
Die Geschichte von den drei geschichtenerzählenden Maschinen des König Genius
König Genius bittet den berühmten Konstrukteur Trurl um den Bau von drei Maschinen, die Geschichten erzählen. Die erste soll der Schärfung des Geistes, die zweite der Zerstreuung und die dritte der moralischen Erbauung dienen. Obwohl Trurl erhebliche Zweifel daran hat, dass der König ihn bezahlen wird, baut er die gewünschten Maschinen und nimmt sie mit in die Höhle, in die der König sich seit vielen Jahren zurückgezogen hat.
Die erste Geschichte handelt von den Vielianern und ihrem König Mandrillion. Die Milliarden und Abermilliarden Untertanen dienen dem König als Zerstreuung, indem er sie zu Tausenden umbringt und quält. Der reisende Konstrukteur Trurl, der in dieser Geschichte auf dem Planeten landet, wird von Mandrillion beauftragt, einen absoluten Ratgeber zu bauen. Dieser Ratgeber soll weise und allwissend sein und dem König allein unbedingten Gehorsam leisten. Trurl tut, wie ihm geheißen, wird aber nach getaner Arbeit auf das Scheußlichste verprügelt und um seinen Lohn betrogen. Sehr schwierig gestaltet sich die Rache, denn Trurl hat dem König ja einen allwissenden Ratgeber zur Seite gestellt.
In der zweiten Geschichte erzählt die Maschine von einem Abenteuer Trurls, das der geniale Konstrukteur erlebte, als er von König Daumenschraub, Herrscher von Tyrannien, aufgefordert wurde, ihn zur Vollkommenheit zu verändern. Trurl erzählte dem König die seltsame Geschichte von einer Reise zum Planeten Legaria und den seltsamen Ereignissen, die sich dort abspielten. Das reichte dem König allerdings nicht als Erklärung, worauf Trurl Daumenschraub die noch viel kompliziertere Geschichte von Voluptikus und seinem Ratgeber Perfidolin erzählte, die mit der Vernichtung des Königs zu enden schien. Dies alles schildert die zweite Maschine, die Trurl dem König Genius zur Zerstreuung gebaut hat.
Der König scheint zufrieden, will aber, ehe es zur Frage der Bezahlung kommen soll, die dritte Maschine zu Wort kommen lassen, die ihm der moralischen Erbauung dienen sollte.
Die tiefblau angestrichene Maschine erzählt sogleich die Geschichte eines Kruges, der, auf einen Müllhaufen geworfen, durch seltsame Zufälle zur Entstehung spontanen Maschinenlebens führte. Mamusch Eigensohn entstand in der Müllhalde und dachte über sein Ich nach. Leider sorgte ein Kurzschluss für 400.000 Jahre dafür, dass Mamusch nicht mehr dachte, ehe ein weiterer Zufall ihn ins Leben zurückrief. Leider waren seine Sinnesorgane sämtlich verrostet, so dass er seine tiefsinnigen philosophischen Erkenntnisse allein aus seinem Geist heraus erdachte.
Diese Geschichte wiederum reicht dem König Genius nicht aus, den dritten Roboter zu bewerten, und er bittet um eine weitere Kostprobe ihrer Kunst. Dem kommt die Maschine umgehend nach. Sie erzählt die Geschichte von Klapauzius, dem Freund von Trurl, und seinen Erlebnissen auf dem Planeten der Mammoniden und den Erkenntnissen des Philosophen und Eremiten Chlorian Theoreticus Klapostel.
Nachdem er diese Geschichte gehört hat, widmet sich König Genius dem Problem der Bezahlung. Und sein Angebot überrascht Trurl auf das Heftigste.
Altruizin oder Der wahre Bericht darüber, wie der Eremit Bonhomius das universelle Glück im Kosmos schaffen wollte, und was dabei herauskam
Ein grässlich zugerichteter Roboter wankt an der Tür des Konstrukteurs Trurl vorbei. Der aber hat Mitleid mit dem armen Tropf und bittet ihn herein. Nachdem Trurl ihn repariert hat, erzählt der Roboter eine fast unglaubliche Geschichte. Doch da sie von Klapauzius, dem Freund und Rivalen von Trurl handelt, muss er sie wohl glauben. Klapauzius erlangte nach vielen Mühen ein Pulver namens "Altruizin" und ließ es durch den armen Roboter, den Eremiten Bonhomius, auf einem Planeten voller Bleichlinge seine wohltuende Wirkung entfalten. Jedes Wesen wurde durch dieses Pulver zum im wahrsten Sinne des Wortes Mitfühlenden. Es fühlte nämlich unmittelbar die Sorgen, Schmerzen, Glücksgefühle seiner Nächsten. Doch die Wirkung war eine ganz andere, als sich Klapauzius und Bonhomius davon erwartet hatten.
Experimenta Felicitologica
Trurl setzt seine ganze Energie, seinen Genius und sein gesamtes Wissen, verstärkt durch Maschinen und allerlei Erfindungen, dazu ein, das universelle, allgemeine Glück für alle Wesen, ob Roboter oder Bleichlinge, zu schaffen. Doch seine Versuche scheitern allesamt kläglich. Er sieht sich letztendlich sogar dazu genötigt, seinen alten Lehrer von den Toten auferstehen zu lassen, um ihm sein Problem vorzulegen. Doch die Reaktion des Lehrmeisters fällt gänzlich anders aus, als Trurl erwartet hat.
Der 1965 erstmals veröffentlichte Roman ist ein Musterbeispiel für die unglaubliche Fantasie, die sprachliche Gewandtheit, die experimentelle Art zu schreiben, die Stanislaw Lem auszeichnet. Die äußerst komplexen Geschichten quellen förmlich über vor Ideen, Wortschöpfungen, verschachtelten Geschichten und Erzählungen. Manche Sätze erstrecken sich, zum Leidwesen des Lesers, über sage und schreibe mehr als eine der dicht beschriebenen Seiten. Diese Sätze, mit zahlreichen Kommata, Nebensätzen, Einschüben, Verschachtelungen und schwierigsten Worten, die der Fantasie des Autors entsprungen sind, angefüllt, muss der Leser schon mehrmals lesen, will er hinter den Sinn kommen. Diese Struktur treibt der Autor bis zum Exzess. Wohlgemerkt: Wer diesen Stil mag, wer die überbordende Fantasie dieses Autors schätzt oder im Laufe der Lektüre schätzen lernt, wird bestens unterhalten und muss mehr als einmal schmunzeln über die unglaublichsten Wendungen, die er seinen Geschichten gibt. Doch wem diese Sätze schon bald zu schwierig sind, wem die Neuschöpfungen überhand nehmen und wer den Sinn der Geschichten nicht zu erschließen in der Lage ist (was nebenbei bemerkt ein sinnloses Unterfangen ist, denn der Sinn der Geschichten ist eben die Unmöglichkeit eines sinnvollen Geschehens), der wird dieses Buch entsetzt weit weg legen und niemals an sein Ende gelangen.
Doch wer sich auf Lem einlässt, wer seiner Fantasie oder besser gesagt seiner pessimistischen Philosophie folgt, wer sie versucht nachzuvollziehen und sich der Geschichte ergibt, der wird mehr als reichlich belohnt. Es ist zwar ein äußerst schwieriges Unterfangen, dieser Literatur auf den Grund zu gehen, aber wer glaubt, den Sinn zu erkennen und wer die Geschichte in seiner Gänze verstanden hat, der merkt, dass der Autor ihn auf das Vergnüglichste hereingelegt hat. Denn seine Kernaussage ist eben, dass ein Sinn nicht allgemeingültig sein kann. Nur das Individuum kann einen Sinn erlangen, einer Sache einen Sinn geben, niemals aber ein Buch, eine Geschichte oder eine Philosophie.
Der lustige, humorvolle Wissenschaftler und Pessimist aus Grundüberzeugung ist ein wundervoller Betrüger. Ihm gelingt es mühelos, den Leser in seine Geschichten einzubinden, seine Gefühle zu täuschen, ihn zu betrügen und ihm vorzugaukeln, es gäbe einen Sinn. Am Ende muss man zwar erkennen, dass man ihm auf den Leim gegangen ist - das aber sehr unterhaltsam.
Doch wohlgemerkt: Man muss den Stil und diese Art, Geschichten zu erzählen, mögen. Wer nach drei oder vier Seiten erschrocken innehält und sich fragt, ob dieser Autor ein Literat oder ein Verrückter ist, und stirnrunzelnd zu der Ansicht gelangt, solche Sätze schreibt nur ein Verrückter, der sollte das Buch weglegen und ein zugänglicheres des Autors, wie etwa "Solaris", kaufen - auch wenn ihm damit, meiner Meinung nach, ein wundervoller Autor in absoluter Höchstform und ein wundervolles Buch entgeht!