Will man das Wort "Mogelpackung" definieren, kann man fortan getrost das neue Buch von China Miéville aus dem Schrank holen. "Andere Himmel" wird vom Verlag Bastei Lübbe nämlich großspurig als neuer "Roman" angekündigt, um die begeisterten Leser von Miévilles Bas-Lag-Trilogie zu ködern. Tatsächlich ist "Andere Himmel" eine Kurzgeschichtenanthologie, in der mehrere kurze Erzählungen, Anekdoten und klassische Kurzgeschichten des wilden Engländers zusammengetragen wurden.
Das als Roman zu versilbern, ist schon ganz schön dreist, eine klare Irreführung des Kunden, der sich in der Bahnhofsbuchhandlung noch schnell einen Schmöker zur Hand nehmen will.
Dabei hat Bastei Lübbe diesen Taschenspielertrick gar nicht nötig, ist doch Miéville auch in der kurzen Form lesenswert. Phantastische und nichtphantastische Erzählungen stehen Seite an Seite, leichtfüßige Romanzen neben tiefsinniger Prosa. Und immer wieder steht London, die große Metropole an der Themse, im Mittelpunkt der Geschichten, ist wie schon in Miévilles Bas-Lag-Romanen (dort freilich ins Phantastische verzerrt) oder in seinem neuen Kinderbuch "Un Lun dun" der Bezugspunkt seines Schreibens: ein Moloch, ein multikultureller Schmelztiegel, ein unüberschaubares Chaos. Gerne überträgt Miéville dieses Stadtbild ins Surreale, Apokalyptische (so in "Suche Jake" und "Spiegelhaut") oder zerlegt es briefromanartig in Fragmente ("Bericht über gewisse Vorfälle in London"). Andere Geschichten parodieren unsere globalisierte Gesellschaft, etwa das durchkommerzialisierte Weihnachtsfest ("Eia Weihnacht") oder die Abgründe der Computerspielkultur ("Die Hungernden speisen"). Und immer wieder erweist sich Miéville als Autor, der dicht am Puls der Zeit schreibt und diesen raffiniert mit seiner mal gehetzten, mal barocken Sprache zu stauen und zu lösen weiß.
Zugegeben, nicht jeder Text überzeugt gleichermaßen, nicht immer tragen die Ideen eine Geschichte bis zu ihrem Ende. Vieles bleibt assoziativ, vieles auch klischeehaft. Aber im phantastischen Genre - sofern man ihn überhaupt dort zuordnen darf - bleibt Miéville eine Ausnahmeerscheinung. Eine lesenswerte Anthologie für alle, die gerne über den Tellerrand hinausblicken.