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Viele Fernsehzuschauer erinnern sich noch an Eva Hermans Auftritt in und ihren Hinauswurf aus der Talkshow von Johannes B. Kerner im Oktober 2007. Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, der an dieser Sendung als NS-Experte teilgenommen und Eva Herman kritisiert hatte, erhielt anschließend ein Flut von Zuschriften, in denen er beschimpft, beleidigt und sogar bedroht wurde.
Er hat dies zum Anlass genommen, Hermans Äußerungen, deren Vorgeschichte und die anschließende öffentliche Debatte in dem nun vorliegenden Buch darzustellen. Dabei stützt er sich auf die Auswertung von rund zweitausend Leserbriefen an die "Bild"-Zeitung sowie der Diskussionen in einer Reihe von Blogs und Internetforen.
Die Debatte entzündete sich speziell an Hermans lobenden Äußerungen zur nationalsozialistischen Familien- (Stichwort "Mutterkreuz") und Verkehrspolitik (Stichwort "Autobahnen") sowie ihrer Kritik an den ihrer Meinung nach "gleichgeschalteten" Medien, die es unmöglich machten, solche Dinge öffentlich zu äußern.
Während die traditionellen Medien diese Auffassungen überwiegend zurückwiesen, artikulierte die von Wippermann so genannte "schweigende Mehrheit" in Leserbriefen und im Internet oft lebhafte Zustimmung. Deren Tenor lautete, es sei tatsächlich unter Hitler nicht alles schlecht gewesen, bestimmte Werte hätten damals noch gezählt, die "Achtundsechziger" hätten die alle zerstört und als faschistisch denunziert, und die von ihnen beherrschten Medien übten eine Meinungsdiktatur aus, die Kritiker mundtot mache. Dabei wurde der rassistische Kontext speziell der nationalsozialistischen Familienpolitik meist ausgeblendet. Häufig wurden auch ausgesprochen antisemitische Ressentiments geäußert, etwa die unterstellte Meinungsdiktatur auf den Einfluss "der Juden" zurückgeführt.
Wippermann folgert daraus, eine "schweigende Mehrheit" identifiziere sich mit Positionen, die nur scheinbar konservativ, tatsächlich aber latent oder offen pro-nazistisch seien. Er macht das Internet dafür verantwortlich, dass solche Einstellungen, besonders Verschwörungstheorien, immer stärkere öffentliche Verbreitung erführen, und schließt mit dem Aufruf, sie noch deutlicher als bisher als faschistisch zu brandmarken.
Obwohl Wippermann in der Einleitung beansprucht, quellenkritisch, ideologiekritisch und diskursanalytisch vorzugehen, ist sein Buch von wissenschaftlichen Standards weit entfernt. Bereits die verwendeten Begriffe sind weder theoretisch untermauert noch hinreichend definiert:
Er nennt traditionell-katholische Positionen "fundamentalistisch", CSU-Politiker "extrem rechts", verwendet den Begriff "faschistisch", ohne deutlich zu machen, auf welche der vielen Faschismusdefinitionen er sich bezieht, und spricht penentrant häufig von der "schweigenden Mehrheit", wobei er offenlässt, ob er dabei ironisch auf das Selbstverständnis des betreffenden Personenkreises anspielt oder buchstäblich eine Mehrheit der Bevölkerung meint.
Solche Schlamperei ist mehr als nur eine lässliche Sünde. Sie entspringt vielmehr der Absicht des Autors, die von ihm abgelehnten konservativen Werte (Ehe, Familie, Patriotismus) und ihre Verfechter in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken. Der Komplexität der Zusammenhänge zwischen konservativen Werten und nationalsozialistischer Ideologie wird er damit kaum gerecht, es hat auch nichts mit wissenschaftlicher Ideologiekritik zu tun. Mit politischer Polemik schon eher.
Da hilft es auch nicht, dass der Autor Leserbriefe und Blog-Kommentare als Belege heranzieht. Gewiss ist seit langem bekannt, dass Teile der deutschen Öffentlichkeit die NS-Zeit positiver bewerten als es dem offiziösen Geschichtsbild entspricht. Auch das immer noch erschreckend hohe Maß an Antisemitismus ist wissenschaftlich gut dokumentiert. Bekannt ist auch, dass Menschen, die so denken, sich gerne ein konservatives Mäntelchen umhängen. Daraus aber zu folgern, Konservatismus sei per se vor allem ein bürgerliches Feigenblatt faschistischer Ideologie, wie der Autor an etlichen Stellen zumindest suggeriert, ist intellektuell unredlich und demagogisch.
Nichtsdestoweniger ein interessantes Buch: Die Herman-Kontroverse war ja wirklich in vieler Hinsicht denkwürdig, und es ist ungeachtet der einseitigen Interpretation durchaus verdienstvoll, dass Wippermann sie in Buchform aufbereitet, bevor sie dem Vergessen anheimfällt. In dieser Hinsicht ist das schmale Büchlein außerordentlich informativ.
Zukunftsweisend ist auch, dass der Autor als einer der ersten systematisch die Reaktion der Blogosphäre, also der Internet-Öffentlichkeit, ausgewertet und damit der wachsenden Bedeutung dieses Mediums für die öffentliche Meinung Rechnung getragen hat - auch wenn er diesen Einfluss aus der Perspektive einer um ihre Deutungshoheit fürchtenden wissenschaftlichen Elite allzu negativ bewertet.
Gerade diese Befürchtung hätte ihm Anlass sein können, jenen Anspruch auf Deutungshoheit durch eine entsprechend saubere und wissenschaftlich fundierte Arbeit zu untermauern.
Stattdessen gibt er implizit genau jenen von ihm kritisierten Verschwörungstheoretikern recht, nach deren Auffassung die etablierten Meinungseliten missliebige, weil der Political Correctness widersprechende Positionen als faschistisch abstempelten statt sie inhaltlich zu widerlegen.
Für ein linkes Publikum, das bei Wippermann in den Genuss der Streitschrift eines Gleichgesinnten kommt, ist das Buch allemal lesenswert. Allen anderen bleibt - neben dem reinen Informationsgehalt - immerhin die Überraschung, mit welcher Nonchalance die Verfechter der Political Correctness auch heute noch nichtkanonisierte Meinungen als Ketzerei verteufeln - und im selben Atemzug vehement bestreiten, eben dies zu tun.