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"Bang Crunch" ist das Debüt des kanadischen Autors Neil Smith und vereint neun Kurzgeschichten, die nur eines gemeinsam haben: Sie sind ausgesprochen klug erzählt, ausgesprochen kurzweilig und ausgesprochen kunstfertig erdacht. Abgesehen davon sind alle neun Episoden von sehr unterschiedlicher Natur.
"Der Paradiesvogel" - Ein Mann und eine Frau proben für ein ungewöhnliches, exzentrisches Theaterstück, in dem beide vollkommen nackt auf die Bühne kommen sollen. Doch als der Abend des Auftritts kommt, begreift der Mann, dass sie sich sein Vertrauen erschlichen und in Wirklichkeit etwas völlig anderes geplant hat, als das einstudierte Drehbuch vorsieht …
"Im Isolette" - An und Jacob, eine beziehungsunfähige Frau und ihr schwuler Nachbar, treffen ein unkonventionelles Arrangement: Zusammen bekommen sie ein Kind. Doch als Bea geboren wird, ist sie einige Wochen zu früh dran. Isoliert in einem Brutkasten, einer so genannten Isolette, ringt das Baby mit dem Tod, während die beiden so ungleichen Elternteile nur hilflos warten können.
"Die Gut8igen" - Ein Mann erkrankt an einem gutartigen Tumor. Nachdem dieser chirurgisch entfernt wurde, spürt der Mann komischerweise keine Erleichterung, stattdessen fühlt er sich von seinem Körper betrogen. Er gründet eine Selbsthilfegruppe für Opfer gutartiger Tumore. Gemeinsam kommen die sonst sehr unterschiedlichen Genesenden auf eine plausibel klingende Idee: Nur weil sie alle so gutartig sind, konnten sie Opfer der Tumore werden. Zusammen entwickeln sie einen bösen Plan, wie sie aus diesem Verhaltensmuster ausbrechen können.
"Bang Crunch" - Ein achtjähriges Mädchen namens Eepie leidet an einem äußerst seltenem Syndrom: Mit jedem Tag ihres Lebens altert sie um mehrere Wochen, wobei auch ihre Intelligenz stetig zunimmt. Am Zenit dieser Entwicklung angekommen, beginnt das Ganze sich umzukehren, und fortan wird Eepie immer jünger …
Diese und weitere Erzählungen entführen den Leser in Alltagswelten, die aus den unterschiedlichsten Gründen eben doch nicht alltäglich sind: eine Frau spricht mit der Asche ihres Mannes, den sie in einer Urne in Form eines Curlingsteins aufbewahrt. Ein Teenager versucht sich klarzuwerden, ob er vielleicht in seinen besten Freund verliebt ist. Eine unscheinbare Empfangsdame nimmt Rache an einem Haufen überkandidelter Schauspieler. Und der Überlebende eines Schul-Amoklaufes versucht seine Schuldgefühle loszuwerden.
Kurzgeschichten sind im Grunde genommen eine Königsdisziplin des Schreibens – heruntergedampft auf wenige Seiten zeigen sie Ausschnitte eines Ganzen, ohne dabei zu viel zu enthüllen, zwischen den Zeilen steht weitaus mehr als in der Erzählung selbst. Und genau in dem Moment, in dem wir uns mit den Protagonisten angefreundet haben, sind sie auch schon wieder weg, ist der Ausschnitt, den der Autor uns gewährt hat, beendet.
Umso erstaunlicher, dass Neil Smith gleich in seiner ersten Zusammenstellung so treffsicher, so unglaublich vielseitig erzählt, mit verschiedenen Perspektiven experimentiert und sie alle wunderbar einfängt (der größte Teil der hier versammelten Geschichten ist bereits in Zeitschriften und Magazinen erschienen).
Die meisten dieser Erzählungen sind ernst, handeln in irgendeiner Form von Verlust, Trauer, Verwirrung oder Krankheit: Ein Mädchen nähert sich seinem unausweichlichen Tod, eine alkoholkranke Frau verliert ihren geliebten Mann, ein Mann fühlt sich verraten und verlassen. In jeder dieser kurzen Erzählungen gibt es in irgendeiner Form einen Bang Crunch, einen unerwarteten, schicksalhaften Moment, einen Knall, der aber nicht unbedingt laut sein muss - eben etwas ganz und gar Unvorhergesehenes. Und doch ist da immer leiser Humor, der mitschwingt, bisweilen spöttisch, bisweilen melancholisch.
Nicht alle Geschichten sind solche Glanzstücke wie die Titel gebende oder die Schlusserzählung, die mit 80 Seiten die längste des Buches darstellt – manche sind logischerweise besser als andere –, aber insgesamt wird das Niveau konstant sehr hoch gehalten.
Wer Kurzgeschichten mag, bei denen sich große Ernsthaftigkeit und bisweilen skurriler Humor die Waage halten, wird "Bang Crunch" lieben. Es ist ein faszinierender, manchmal skurriler Einblick in ungewöhnliche Lebensgeschichten, die aufgrund von Smiths ausgezeichnetem Blick für Details und Menschen aber auch jederzeit alltäglich erscheinen. Eine intelligente, häufig ans Herz gehende und stilistisch wohltuend treffsicher geschriebene Sammlung, in der sich Fantastisches und ganz und gar Alltägliches dezent die Hand geben.