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Es gibt Städte, die irgendwie immer einen Sonderstatus haben. Sie sind extrem groß, besitzen zahlreiche historische Bauten oder eine wahnsinnig turbulente Geschichte. In der Geschichte der deutschen Gebiete bei Shadowrun gibt es eine Stadt, die alles Dagewesene sprengt, denn in ihr herrschte zeitweise pure Anarchie. Anfangs eher als netter Gag gedacht, hat es der Pegasus Verlag geschafft, einen ernsthaften Quellenband zu "Berlin" herauszubringen, der die schlimmsten Fehler ausmerzt und die besten Teile der Geschichte übernimmt, um eine komplexe und spielbare Stadt zu erschaffen.
Für eine Zeitlang klang es genial, in einer anarchistischen Stadt zu spielen, doch irgendwann musste sich der Spaß auch der Spiellogik beugen. Genau wie in Chicago konnte ein Extremzustand lediglich ein Punkt auf der historischen Linie sein, kein Dauerzustand.
Wie überall anders auch, regieren auch die Kons das Pflaster und erziehen ihre neuen Mitarbeiter von der Wiege an. Aber dem gegenüber gibt es auch die immer noch anarchistischen Stadtteile mit ihren eigenen Gesetzen und eigenen Regeln und eben dieser bunte Mix macht Berlin so farbenfroh, gefährlich und äußerst reizvoll zu bespielen.
Die Zwiespältigkeit schlägt sich auch in der Anordnung des Buches wieder. Der erste Teil des Quellenbandes befasst sich mit der Sicht der Konzerne und konzerntreuer Bürger auf die Stadt. Hier erfährt man die neuesten Trends, die angesagten Clubs und bekommt ein kurzes Briefing, wie sich Berlin überhaupt zu dem jetzigen geschichtlichen Punkt entwickelt hat. Im zweiten Teil dann dreht sich alles um die Runnerthemen, das alternative Berlin und die damit verbunden positiven und negativen Aspekte. Auch hier gibt es unterschiedliche Machtgruppen, die durch die anarchische Zeit fester miteinander verwoben sind als anderswo. Ein Gefallen und gute Nachbarschaft zählen hier wesentlich mehr als Credits. Dafür nimmt man in Kauf, dass das Netz Lücken hat, man aber schnell untertauchen und alle notwendigen Dinge beschaffen kann.
Mit "Berlin" hat der Pegasus-Verlag einen wunderbar umfassenden und vor allen Dingen spielbaren Quellenband herausgebracht. Denn nicht nur Shadowrun, sondern auch die Spieler sind älter und wählerischer geworden, weshalb einige lustige Ideen aus früherer Zeit auf den Prüfstand mussten und ein wenig realistischer hingebogen wurden. Das Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen. Die Idee eines Berlins, in dem Anarchie herrscht, ist immer noch wunderbar, und in einigen Vierteln ist dem immer noch der Fall. Den Autoren ist es gut gelungen, diese zwei Seiten der gleichen Stadt, die auch nur ein riesiger Schmelztiegel unterschiedlichster Gruppierungen ist, passend darzustellen. Es gibt in Berlin nicht den Anarcho oder den Sarimann. Beide Gruppierungen vermischen sich teilweise und treffen sich in manchen Punkten und Ansichten sogar.
Ein ganz genialer Einfall ist auch die VolksSIN. Die Idee, Berliner Bürger mit einer kostenlosen SIN, einer Amnestie und Bonuspunkten für soziales Benehmen zu belohnen, ist wunderbar. Mit diesem Detail wird das Spiel in der riesigen Metropole noch ein wenig spaßiger, schließlich kann man ebenso ein Leben neben der SIN führen. Wie das geht, erfährt der Spieler, wenn er den Quellenband durchschmökert. Nette Nebengeschichten, Shadowtalk, eingestreute Mitschnitte aus gehackten Daten und geraffte Informationen verbinden sich zu einem abwechslungsreichen, lesbaren und durchaus übersichtlichem Überblick über die Stadt. Damit es dem Leser nicht langweilig wird, wurden viele Illustrationen eingefügt. Ein Leckerbissen sind auch die enthaltenen sehr detaillierten Gebäudepläne. Zu ihnen gibt es jeweils individuelle Beschreibungen und eine Handvoll Abenteuerideen. Genug Inspiration für die nächsten Spielabende.
Ein Quellenband über eine Stadt kann informativ und unterhaltsam sein, das zeigt "Berlin" und bietet damit einen wunderbaren Schauplatz für spannende Runs.