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Als der Ich-Erzähler des hier besprochenen Romans nach seinem Theologie-Studium mit Schwerpunkt biblische Sprachen einen Job bei der kleinen Jewish Cultural Organization in seinem Studienort findet - er muss die täglich aus aller Welt eintreffenden Bücher aus Nachlässen in Empfang nehmen und archivieren -, ahnt er noch nicht, dass diese Arbeit ihm die außergewöhnlichste Aufgabe seines jungen Lebens einbringen wird. Im Verlauf seiner Tätigkeit hat er sich aus den Büchern, die am Arbeitsplatz um ihn sind, die jiddische Sprache angeeignet. Eines Tages wird er nach Boston gerufen, wo er eine ganze private Bibliothek abholen soll: die von ihrem Eigentümer so genannte "Bibliothek der unerfüllten Träume", die später im Roman eine zentrale Rolle spielt. Dort begegnet ihm Itsik Malpesch, ein Dichter russisch-jüdischen Ursprungs – und der Ich-Erzähler wird Malpeschs auf Jiddisch verfasstes Lebenswerk übersetzen, eine Geschichte, die von Anfang bis Ende mit Dichtung und Büchern verknüpft ist.
Denn schon als kleiner Junge ist Malpesch seiner Sucht nach Literatur erlegen; er kauft einem anderen Talmudschüler für sauer verdientes Geld Blatt für Blatt Dostojewskis "Schuld und Sühne" ab. Unter sehr abenteuerlichen Umständen landet Malpesch als junger Mann in New York. Längst dichtet er selbst, und seine Muse ist eine Frau, die er nie persönlich kennen gelernt hat, deren Schicksal jedoch unauflöslich mit seinem verwoben zu sein scheint. Er hat es aufgegeben, sie zu suchen, da begegnet sie ihm. Doch das Schicksal hat noch kein "Happy End" für Malpesch und seine geliebte Sascha vorgesehen.
Geschickt verwebt der Autor mehrere Handlungsstränge. Die Geschichte des Ich-Erzählers bildet den Rahmen; sie bietet eine Einleitung, und unter "Anmerkung des Übersetzers" entwickelt sie sich, immer jeweils nach ein paar Kapiteln Malpeschs Erzählung unterbrechend und natürlich auch ergänzend, weiter, bis plötzlich beider Protagonisten Leben auf verblüffende Weise miteinander verknüpft sind.
Malpeschs Autobiografie, ganz im Stil jüdischer Erzählkunst, und die Rahmengeschichte, die ein moderner amerikanischer Ich-Erzähler vorbringt, machen in ihrer Unterschiedlichkeit einen Teil des Reizes dieses Romans aus. Es faszinieren aber auch die vielen verblüffenden Wendungen, die Weise, wie Figuren angelegt werden, scheinbar verschwinden und dann unerwartet am anderen Ende der Welt wieder auftauchen, um das Leben des Ich-Erzählers aus den Angeln zu heben. Sie alle entwickeln sich auf eigenwillige, teils schier absurde Weise konsequent, und hier begegnet dem Leser aus der Feder eines katholischen Autors jüdischer Humor. Tragik und Komik liegen ganz dicht beieinander, ohne dass der Autor – und der Leser mit ihm! - Mitgefühl, Sensibilität und Respekt seinen Figuren gegenüber verliert. Unten und oben werden auf den Kopf gestellt; das Schicksal oder, geht man es religiös an, Gott, wird mehr als einmal hinterfragt und auf die Probe gestellt. Hinterfragt werden aber auch die Rollen von Autor und Übersetzer und die Bedeutung der Sprache. Und es ergibt sich sogar eine Art Krimi.
Ortsbeschreibungen aus der russischen Provinz und dem New York des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wirken völlig authentisch, der Autor vermag Stimmungen sehr anschaulich zu vermitteln, und nicht zuletzt verliert der Roman an keiner Stelle an Spannung.
Ein erstaunliches, sprachgewaltiges, so skurriles wie anrührendes Werk, dessen Lektüre fesselt bis zur letzten Seite.
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