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Der Wilde Westen besteht keineswegs aus der ihm stets zugeschriebenen Romantik. Niemand weiß das besser als Edmund Fisher, ein ehemaliger Büffeljäger. Seine persönliche Geschichte besteht aus Niederlagen – jedes Mal, wenn sich seine Welt stabilisierte und er eine liebevolle und liebenswerte Frau kennen gelernt hatte, wurde sie von Indianern getötet.
Nun trifft Fisher auf die Überreste einer Familie, die im Westen ihr Glück suchen wollte, nicht anders als er selbst. Nur ein junges Mädchen hat vorläufig überlebt, geschändet von den Indianern, die ihren Vater und Bruder ausgeraubt und getötet haben. Fisher wappnet sich für den finalen Überfall der Bande, der vermutlich zum Morgengrauen hin erfolgen wird. Währenddessen gießt er Gewehrkugeln und erzählt dem Mädchen seine ganze Vergangenheit.
Für Edmund Fisher ist es im Grunde nur ein Déjà-vu, als er in einen Überfall eingreift und die Lage betrachtet: der Vater zu Tode gemartert, ebenso der Sohn, die Tochter verletzt und nach der Vergewaltigung durch die Angreifer so verstört, dass sie ihm beim Versuch, sie beide vor dem anzunehmenden neuerlichen Angriff zu schützen, nicht nützen wird.
Wie so oft waren die Hasardeure halb verhungerte Indianer. Fisher kennt sie. Zwei Mal haben sie im Abstand einiger Jahre die jeweils von ihm geliebte Frau getötet und ihm jede Perspektive genommen – ihm, an dem ohnehin das Blut von Tausenden, Zigtausenden Büffeln klebt, die er geschossen hat, einerseits wegen der Felle, die sich gut verkaufen ließen, andererseits, weil die Ausrottung der Büffel ein Instrument zur Ausrottung der ungeliebten Indianer war.
Während er sich wachhält, indem er Kugeln zu seiner Verteidigung – und der des hilflosen Mädchens – gießt, erzählt er unablässig aus seiner Vergangenheit, auch wenn das Mädchen einnickt. Es ist, als wäre er entfesselt, als riefe die junge Frau all die Erinnerungen wieder hervor, auch an gute Zeiten, als er einem Marquis diente, der davon träumte, in Texas eine riesige Rinderherde, einen Schlachthof der Superlative und die dazugehörige Logistik schier aus dem Boden zu stampfen. Die Rechnung hatte er ohne die schon vorhandenen Betriebe und ihre Bosse gemacht, und so brach dieser von Fisher mitgeträumte Traum gemeinsam mit neuen Hoffnungen auf eine Familie zusammen.
Tiburce Oger möchte den Western nicht romantisieren, sondern aufzeigen, wie es im so genannten Wilden Westen wirklich zuging – mehr als wild. Brutal. Skrupellos. Mörderisch. Ein Interview mit ihm am Ende des Albums enthüllt, wie sorgfältig er recherchiert hat – mit dem Ergebnis, dass die Leidtragenden stets die einfachen Angeheuerten wie Cowboys und Sicherheitsleute waren, ebenso aber auch die Indianer, die systematisch vernichtet werden sollten und sich auf vergleichbar abscheuliche Weise wehrten und rächten. Oger ist ein Meister der unverwechselbaren Charaktere, jedoch auch der dynamischen Zeichnungen: Die Bilder scheinen sich gleichsam zu bewegen, Steine fliegen, scheut da nicht das Pferd?, jemand reißt die Waffe hoch ... und die düster-kühlen oder in manchen Szenen relativ grellen Farben verstärken den jeweiligen Eindruck, intensivieren jede Szene. Das verblüffende und melancholische Ende verdient wohl das Attribut "Meisterstück".
Weggeschossene Köpfe und Gefolterte oder andere Motive aus brutalen Szenen werden nicht eigentlich dezent versteckt, bieten jedoch auch keinen Ansatzpunkt für blutgierige Voyeure. Nicht zuletzt in dieser ausgewogenen Darstellung von Gewalt erweist sich Tiburce Oger als Meister: Die Brutalität bestürzt, verursacht jedoch keine nachhaltigen Alpträume. Nur die Geschichte selbst, eine Art Perpetuum mobile aus Gewalt und Gegengewalt und immer wieder geliebten Frauen als Kollateralschaden, berührt die Seele des Betrachters und Lesers - ungeschminkt und doch mit einem Hauch bitterer, schmerzlicher Poesie. Es bleiben Opfer, die aufgrund der äußeren Umstände zu Tätern wurden. Sie haben jeder ein menschliches Antlitz. Ein Abgesang auf den Western? Nein, eher nicht. Nur eine Klarstellung: spannend, mit überzeugender und fesselnder Handlung und einer Tiefe, die von einem Comic nicht unbedingt erwartet werden muss.
Anmerkung: Die Bezeichnung "Indianer" ist nicht rassistisch gemeint, sondern richtet sich nach der seinerzeit üblichen Benennung der "native Americans".
Einige Buchseiten bietet die Verlagsseite zur Ansicht.