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Mit „Das Phantom der Oper“ schuf Gaston Leroux sein berühmtestes Werk, das Vorbild für zahlreiche Verfilmungen, Hörspiele und Musicals wurde. Dass er daneben etwa auch Kriminalliteratur schrieb, ist weniger bekannt. Die Comic-Künstler Pascal Bertho und Marc-Antoine Boidin haben sich nun des französischen Schriftstellers angenommen und sich seiner Krimireihe „Chéri-Bibi“ angenommen, um sie ins Comicformat zu transferieren. In Deutschland erschien der Comic beim Splitterformat; alle drei Kapitel wurden zu einem Hardcover-Sammelband zusammengefasst.
Der Gefangene 3216 ist ein mächtiger Riese, ein brutaler Hüne, einer der schlimmsten Verbrecher. Kein Wunder, dass die Wachen stets ein wachsames Auge auf ihn haben, den die anderen Gefangenen Chéri-Bibi nennen. Doch er hätte seinen Ruf zu Unrecht, wüsste er nicht, mit jeder gefährlichen Situation zurechtzukommen. Selbst jetzt, da er mit seinen Mithäftlingen auf einem Dampfschiff Richtung Straflager Cayenne unterwegs ist, gelingt es ihm irgendwie, seine Fesseln und Käfigtüren zu überwinden und sich und die anderen zu befreien.
Doch wie konnte aus einem zurückhaltenden jungen Kerl ein so gnadenloser Verbrecher werden? Als Chéri-Bibi sechzehn Jahre alt ist, verliebt er sich unsterblich in die hübsche Tochter seiner reichen Arbeitgeber. Doch Chéri-Bibi weiß, dass er weder reich ist noch gut aussieht. Er kann ihren Verehrern, darunter der junge Polizeikommissar Costaud und der verarmte Marquis Maxim du Touchais, der in Cecily nur eine Trophäe sieht, die er um jeden Preis haben muss, nicht das Wasser reichen. Chéri-Bibi weiß das und begnügt sich damit, Cecil aus der Ferne anzuhimmeln. Doch dann wird Cecilys Vater ermordet, und man hängt ihm den Mord an. Von da an meint es das Schicksal nicht gut mit dem jungen Chéri-Bibi, und er wird zu einem der gefährlichsten Verbrecher Frankreichs …
Die Geschichten um Chéri-Bibi wurden bereits mehrfach verfilmt, und selbst Comics zum Thema gab es schon. Da stellt sich die Frage, ob Bertho und Boidin dem französischen Antihelden noch eine neue Facette geben können oder ob es sich bei „Chéri-Bibi“ nur um eine müde Nacherzählung handelt.
Ersteres ist der Fall. Die Zeichnungen sind atmosphärisch und ziehen den Betrachter schnell in ihren Bann, zeigen sich mal in kühlen Blau- und Grüntönen oder mal feurig in dunklem Rot und Orange, wie es die Stimmung des Geschehens vorgibt. Die häufigen Zeitsprünge, mit denen Begebenheiten aus der Vergangenheit aufgegriffen werden, sind mit geschickten Bildfolgen als solche erkennbar und decken nach und nach die Geheimnisse des Protagonisten und seiner Vergangenheit auf. Zu Anfang fordert der Comic dem Leser dennoch einiges an Aufmerksamkeit ab, während die Ereignisse mit fortschreitender Handlung vorhersehbarer werden.
Die Figuren sind gelungen, wenngleich es zunächst schwerfällt, den hässlichen Chéri-Bibi ins Herz zu schließen. Ist er wirklich so ein brutaler, grobschlächtiger Kerl, wie die Zeichnungen einen glauben lassen? Oder steckt mehr hinter dem wortkargen Riesen, der trotz aller Verbrechen, die er begangen haben soll, sein Herz offenbar am rechten Fleck hat?
Zum Finale hin nimmt die Geschichte nur allzu dramatische Formen an; hat Chéri-Bibi schon durch die gesamte Handlung hindurch einiges erleiden müssen, ist auch das Ende nicht viel gnädiger mit ihm. Ein Happy End im herkömmlichen Sinne hätte zu der düsteren Geschichte natürlich nicht gepasst, aber insgesamt ist es zuletzt doch etwas zu viel Tragik.
Optisch erweist sich der Sammelband als absolut vorbildlich. Eine feste Hardcoverbindung, griffiges und qualitativ hochwertiges Papier sowie satte Farben machen das Lesen zu einem Genuss fürs Auge. Qualität, die bei Splitter zum Standard gehört und die auch den Preis von über zwanzig Euro rechtfertigt.
Der Sammelband „Chéri-Bibi“ kann Fans von Gaston Leroux oder den beiden Comickünstlern Bertho und Boidin sowie allen Freunden klassischer französischer Krimiliteratur empfohlen werden, die einen Medienwechsel wagen wollen – es lohnt sich.