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 Das Geheimnis der verlorenen Zeit

Autoren: John Wray
Übersetzer: Bernhard Robben
Verlag: Rowohlt, Berlin

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ottokar Toula, böhmischer Gewürzgurkenfabrikant, befasst sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen physikalischen Theorien und ist schließlich besessen vom Phänomen der Zeit. Kurz nachdem er ein eigenes Modell davon entwickelt hat, wird er von einem Auto überfahren. Seine Aufzeichnungen bleiben verschwunden, so sehr seine Söhne Kaspar und Waldemar auch danach suchen.
Ihr Leben lang wird sie diese Faszination – oder besser: Obsession – nicht loslassen, vor allem Waldemar nicht. Und sie vererbt sich weiter auf Kaspars Töchter und seinen Enkel, bis dieser schließlich die gesamte Familiengeschichte seit Ottokar Revue passieren lässt. Wozu er mehr oder weniger gezwungen ist, weil für ihn plötzlich die Zeit angehalten zu sein scheint.

Eine böhmisch-amerikanische Familie, die geradezu von einer Erbkrankheit in Sachen Physikbegeisterung besessen zu sein scheint, irrt durch das 20. Jahrhundert: So oder ähnlich ließe sich "Das Geheimnis der verlorenen Zeit" zusammenfassen. Als der Stammvater Ottokar einem Unfall erliegt, hat er gerade das Wesen der Zeit ergründet – Jahre, bevor dies dem im Buch sogenannten Schweizer "Patentprüfer“ mit öffentlicher Wirkung ebenfalls gelang. Ottokars Söhnen Kaspar und Waldemar gelingt es nicht, seine Theorie zu rekonstruieren, auch wenn sie und später Kaspars Töchter ihr ganzes Herzblut daran setzen.

Als Ich-Erzähler fungiert Kaspars Enkel Waldemar, genannt Waldy, an dem die Besessenheit der Familie ebenfalls nicht spurlos vorüberging, wurde doch sein Vater – ein Science-Fiction-Autor, der auf die Erfahrungen seiner Familie zurückgreift - von einer eigenartigen Sekte als ideologischer Führer erkoren. Waldy findet sich eines Tages in der Wohnung seiner beiden altjüngferlichen Tanten in einer Art Singularität der Zeit gefangen, sprich: Diese bewegt sich nicht mehr weiter. Es bleibt ihm viel "Zeit", sich mit der ganzen verworren-absurden Geschichte seiner Familie zu befassen, die er in Form von an seine Geliebte gerichteten Tagebucheinträgen wiedergibt. Zwei Handlungsstränge bewegen sich hierbei aufeinander zu, nämlich Waldys aktuelle Situation einschließlich einiger persönlicher Rückblenden sowie eben die Familienchronik.

Auch wenn der Roman letzten Endes mit über siebenhundert Seiten einfach zu lang ist, kann sich der Leser der Faszination dieser Erzählung kaum entziehen. Ein flüssiger, eleganter Stil macht das Buch gut lesbar. Der Inhalt fesselt nicht zuletzt aufgrund der lebhaften Mischung aus Realistischem und Fantastisch-Groteskem. Nicht zuletzt handelt es sich um einen reichlich schrägen Parforceritt durch das 20. Jahrhundert, in dem nicht nur der verhasste Einstein – Verzeihung, der Patentprüfer! – allgegenwärtig ist, sondern auch Prominenz wie Wittgenstein und Klimt ihren Auftritt hat. Und dann gibt es noch Waldemar, Waldys Großonkel, der die wohl dunkelste Seite des Jahrhunderts , aus wissenschaftlicher wie menschlicher Sicht, repräsentiert.

Wie gesagt, dass dieser Roman nicht zu den ganz großen Lieblingen im Regal gehören dürfte, liegt vor allem am Umfang, denn die inhaltliche Idee, die spannende Umsetzung und der Stil bieten ein enormes Lesevergnügen – insbesondere für jeden, der das Skurrile mag, eine kühne Verquickung von Realistischem und Surrealem.

Eine Leseprobe bietet die Website des Verlags.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 21. September 2016 | ISBN: 9783498073640 | Originaltitel: The Lost Time Accidents | Preis: 26,95 Euro | 736 Seiten | Sprache: Deutsch

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