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Sie begegnen sich zum ersten Mal an einem Müllcontainer – und schließen prompt Freundschaft: Georgie Sinclair, die soeben von ihrem Mann verlassen wurde und wutentbrannt dessen geliebte Schallplatten und Bücher in besagtem Container versenkt, und die alte Naomi Shapiro, die ebenjene Bücher und Platten wieder herausfischt. Georgie besucht Mrs. Shapiro in ihrer riesigen Villa und ist zunächst etwas entsetzt – die alte Dame lebt mit einem Haufen Katzen in einer völlig verwahrlosten Umgebung; der Gestank von Müll und Essensresten reicht aus, um Georgie fast rückwärts wieder zur Tür hinauszutreiben. Doch die beiden ungleichen Frauen freunden sich rasch an und Georgie, die den Trennungsschmerz von ihrem Mann damit zu lindern versucht, dass sie drittklassige Schnulzen schreibt und sich Rachefantasien ausdenkt, entdeckt ein Geheimnis in Mrs. Shapiros Leben.
In einer Keksdose findet Georgie Fotos aus der Vergangenheit der alten Frau, die ihren verstorbenen Mann Artem mit einer anderen, sehr attraktiven jungen Frau zeigen. Wer ist diese Frau, und wer ist Mrs. Shapiro wirklich? Dass die Seniorin nach einem Sturz im Krankenhaus landet und einen Betreuer braucht, macht es nicht einfacher, denn anscheinend wollen geldgeile Immobilienmakler Haus und Grundstück aufkaufen und Mrs. Shapiro übers Ohr hauen. Kurzerhand quartiert Georgie zwei junge Palästinenser im Haus ein, die ein Auge auf alles haben sollen. Das sorgt umgehend für Zündstoff, denn aus Israel reist Mrs. Shapiros jüdischer Sohn an …
Der inzwischen dritte Roman von Marina Lewycka – nach "
Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" und "
Caravan" – bietet wieder eine Mischung aus warmherziger, skurriler und witziger Unterhaltung auf der einen Seite und den kleinen, oft traurigen Dingen des Alltags auf der anderen. Im Mittelpunkt steht Georgie, Mutter zweier Kinder und Redakteurin einer Fachzeitschrift für Klebstoffe. Gegenpol ist die exzentrische, kapriziöse und charmante Mrs. Shapiro, eine resolute alte Dame, die man beim Lesen sofort lieb gewinnt, auch wenn sie bisweilen sehr, sehr anstrengend ist.
Geschickt hat die Autorin den bis heute heftig schwelenden Konflikt zwischen Palästinensern und Israeli eingebunden, ohne dass der Roman dabei zur bedrückenden Geschichtsstunde wird. Stattdessen lenkt Lewycka den Blick auf Einzelschicksale, auf kleine Anekdoten und Ereignisse, die Menschen getrennt haben – und die sie auch wieder verbinden können, ähnlich der wundersamen Kraft mancher Klebstoffe, über die Georgie oft nachdenkt. Klebstoffe in all ihren Formen dienen in den einzelnen Kapiteln als kleine Aufhänger für Bindungen, die manchmal brechen und manchmal ein Leben lang halten: Bindungen zwischen Liebespaaren, zwischen Familien, zwischen Völkern, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Ende ist, obwohl es ein wenig traurig stimmt, versöhnlich und hoffnungsvoll und lässt den Leser getröstet zurück.
Pointiert, witzig, verrückt, nachdenklich stimmend und bisweilen auch ein wenig traurig: "Das Leben kleben" ist mal bedrückend, mal sehr lustig, immer aber extrem unterhaltsam und fast nie so, wie man es erwartet. Die Themen Nationalsozialismus, Vertreibung und der Palästina-Konflikt wurden behutsam eingebunden und werden nie überstrapaziert – im Gegenteil, sie sind sehr unaufgeregt in der Geschichte verflochten. Auch dieser neue Roman von Marina Lewycka ist damit wieder eine Empfehlung wert – und Mrs. Shapiro muss man einfach kennengelernt haben!
Eine Leseprobe gibt es auf der
Verlagsseite.