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"Die Welt hatte Zähne, und sie konnte damit zubeißen, wann immer sie wollte. Das entdeckte Trisha McFarland, als sie neun Jahre alt war." Mit diesen Sätzen beginnt Stephen Kings Geschichte. Die junge Trisha ist das Mädchen, das dem Buch seinen Namen verleiht. Gemeinsam mit ihrer Mutter Quilla und ihrem Bruder Pete unternimmt sie den üblichen samstäglichen Ausflug, der den Zusammenhalt der drei stärken soll, seitdem die Eltern getrennt leben. Diesmal geht es zu einer Wanderung in den Wäldern im Westen Maines. Doch die Vorzeichen für eine schöne Wanderung stehen alles andere als gut. Pete hat nicht die geringste Lust auf diese Ausflüge, und sie sind noch nicht lange unterwegs, als zwischen ihm und Quilla ein Streit entfacht.
Trisha will dieser Streiterei entfliehen, indem sie tiefer in den Wald geht, um sich abseits der Straße zwischen den Bäumen zu erleichtern. Doch als sie fertig ist, hält sie es für eine gute Idee, querfeldein zu marschieren, um ihre Familie einzuholen; verlaufen wird sie sich schon nicht. Statt den selben Weg zu nehmen, dem sie ins Gebüsch gefolgt ist, geht sie in die Richtung los, in der sie den Wanderweg vermutet. Aber es dauert nicht lange, und Trisha spürt langsam, dass genau das geschehen ist, was sie von sich gewiesen hat: Sie hat sich verlaufen.
Um nicht gänzlich in Panik zu verfallen, lenkt sich Trisha irgendwie ab, sei es mit Erinnerungen an ihren Vater, einem Baseballspiel, das sie im Radio ihres Walkmans hört und das ihre einzige Verbindung zur Welt darstellt, oder sei es, dass sie in Gedanken die Stimme ihrer besten Freundin Pepsi hört. Jedoch ohne es zu merken, wendet sich Trisha immer tiefer in die Wälder. Im Laufe ihrer alptraumhaften Odyssee muss sie sich mit spärlicher Ausrüstung und Verpflegung gegen Insekten, Witterung und Hunger zur Wehr setzen. Und die erste einsame Nacht im Wald steht ihr erst bevor ...
King wählt in diesem Roman ein sehr ruhiges Tempo. Der Leser wird dicht an Trishas Gefühlswelt herangeführt, der Psyche des verängstigten Mädchens, das mit einer überfordernden Situation konfrontiert wird, wird viel Platz eingeräumt. Trotzdem - oder gerade deswegen - kann Kings sonst so packender Erzählstil nicht ganz greifen. Das Geschehen um Trisha ist zwar tragisch und bemitleidenswert, und wenn man sich auch mit dem Mädchen im Wald fürchtet, so verläuft der Spannungsbogen doch eher mäßig aufregend. King wandelt nicht auf seinen üblichen schaurigen Pfaden; er spricht zwar wie so oft die Urängste des Menschen an - die Einsamkeit, die Angst vor der Dunkelheit und dergleichen mehr -, doch gelingt es ihm dieses Mal nicht so überzeugend wie sonst, eine ständig bedrohliche Atmosphäre herzustellen.
Hinzu kommt das Problem der Charaktere. Letztlich begleitet der Leser nur Trisha, und so kann es schnell passieren, dass der Roman als unattraktiv empfunden wird, wenn Trishas Gedanken und Ängste einen nicht ansprechen. Zwar sind die Emotionen, Gedanken und Handlungen des Mädchens alle plausibel und glaubwürdig, und das Wachsen der Hauptfigur an unüberwindbaren Problemen und Hindernissen erscheint zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt oder übertrieben. Dennoch nutzt sich die grundsätzlich spannende Ausgangskonstellation schnell ab, das Buch erscheint etwas langatmig.
Auch das Ende enttäuscht ein wenig, da es etwas kurz geraten und überraschend simpel gehalten ist.
Besonders hervorheben muss man jedoch wie in jedem seiner Romane Kings Talent, Banales und Beiläufiges interessant und abwechslungsreich in die Geschichte einzubinden. Ob Trisha das Baseballspiel verfolgt und aus diesem Ereignis ein wahres Fest wird, oder ob sie sich in Gedanken mit der imaginären Stimme ihrer Freundin Pepsi unterhält - der Stil ist wie immer eine wahre Freude. Stimmige und realitätsnahe rhetorische Mittel sind eins der Markenzeichen des Autors, und die schöpft dieser wie stets ansprechend aus.
Fans des meistgelesenen Horror-Schriftstellers unserer Zeit, die sich auf Horror, Makabres und viel Blut freuen, werden enttäuscht sein, denn in "Das Mädchen" gibt es keine brutalen, schaurigen Details oder Geschehnisse. King kann mehr als nur Schauergeschichten erzählen; aber im Endeffekt sind diese seine große Stärke. Nicht alle seine Erzählungen jenseits des Unheimlichen, und dazu zählt auch "Das Mädchen", sind so unterhaltsam und gelungen wie "The Green Mile" oder auch "Die Verurteilten". Trotzdem bekommt man mit dem Buch solide Unterhaltung geboten, die wohl nicht jedermanns Sache ist.