Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Ein kleines Mädchen verzweifelt an einer großen Frage: "Wer ist mein Vater?"
In ihrem autobiografischen Roman spürt Lizzie Doron ihrer eigenen Kindheit und ebendieser Frage nach. Ihre in Israel lebende Ich-Erzählerin ist ein Kind der zweiten Generation, das heißt, ihre Mutter hat den Holocaust überlebt und ist davon gezeichnet. Die Mutter bemüht sich nach besten Kräften, dem Mädchen einen guten Start ins Leben zu geben, doch der Frage nach dessen Vater weicht sie immer aus, und sie hat auch die Lippen der Nachbarn und Freunde im kleinen Tel Aviver Viertel versiegelt, einem geradezu europäischen "Schtetl" inmitten des mediterranen Israels.
Parallel zu dem trotz der grundsätzlich sehr liebevollen Mutter unglücklichen kleinen Mädchen und seinen Versuchen, den Vater zu finden, erzählt Lizzie Doron in einem anderen Handlungsstrang von der Wiederaufnahme ihrer Suche als erwachsene Frau, die eine berufliche Karriere und eine intakte Familie vorweisen kann und sich längst auch als Schriftstellerin in Israel und im Ausland etabliert hat. Und Jahrzehnte nach ihrer Kindheit findet sie Spuren, verknüpft Indizien und einzelne Aussagen, erhält Dokumente – und entdeckt nach und nach eine Geschichte, die angesichts der Hintergründe an Dramatik kaum zu überbieten ist; und bei der es sich um ihre ureigene, ihre ganz persönliche Geschichte handelt.
Im Interview wirkt Lizzie Doron frei von Verbitterung. Gewiss, es gibt Narben, aber die Autorin hat sich dem Leben und schließlich auch ihrer Vergangenheit sehr offen gestellt. Genau dieser Eindruck ergibt sich auch bei der Lektüre ihres sehr intimen Buches, das voller Gefühl und dabei bar jeder Gefühlsduselei, schonungslos, doch ohne Anklage von ihrer Kindheit und, wie erwähnt, parallel von ihren Nachforschungen zur Person ihres Vaters und der Beziehung ihrer Mutter zu ihm berichtet.
Der Leser wird aus der Perspektive des Kindes mit den Freunden und Bekannten aus dem "Schtetl" in Tel Aviv konfrontiert, die sich dort zusammengefunden haben, Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund, jüdische Europäer, die das Grauen der Shoah überstanden haben und nach Israel emigriert sind, und ihre Kinder, die das Trauma der Eltern mittragen müssen. Sie alle, Angehörige beider Generationen, haben tief sitzende Narben, und allen fällt es schwer, die Verantwortung für die Geschichte der Eltern der Ich-Erzählerin mitzutragen. Wie schwer, zeigt sich im zweiten Handlungsstrang, der Spurensuche; jeder wusste Bescheid und durfte doch nichts sagen, wie sehr ihm oder ihr auch die Verzweiflung des kleinen Mädchens ins Herz schnitt.
Dieses Buch erzählt auf ganz ungewöhnliche Weise jüdische Geschichte. Der Leser lernt weniger die Shoah-Generation als die darauf folgende kennen, die in anderer Weise, doch ebenfalls stark, gezeichnet ist. Lizzie Doron zielt jedoch nicht auf "Betroffenheit" ab, sie möchte erzählen, der Trauer, jedoch auch den komischen Momenten Worte verleihen, und so weiß der Leser manchmal nicht, ob er weinen oder lachen soll: eine eindringliche Lehrstunde in jüdischem Humor nebst all den anderen Eindrücken, die sich bei dieser Lektüre bieten.
Ein Buch voller Tiefe, das zugleich auch Leichtigkeit und Charme versprüht; eine außergewöhnliche und anrührende Leseerfahrung!
Link zum Interview mit der Autorin bei Media-Mania.de
Verlagsseite zum Buch