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Mit "Der Schatten des Windes" konnte Carlos Ruiz Zafón vor wenigen Jahren eine breite Leserschaft ansprechen. Gerne erinnert man sich an die fesselnde Geschichte, die interessanten Charaktere und nicht zuletzt an den geheimnisvollen
Friedhof der vergessenen Bücher. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis es einen Nachfolger geben würde - in diesem Falle handelt es sich allerdings eher um ein Prequel, denn die Handlung von "Das Spiel des Engels" ist am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt und spielt damit noch vor den Ereignissen von "Der Schatten des Windes".
David Martín ist ein junger, vermeintlich talentierter Schriftsteller. Er hat nur ein Problem: Niemand kennt ihn oder seine Bücher. Das liegt in erster Linie daran, dass er unter einem Pseudonym eine mehr oder weniger erfolgreiche Gruselreihe veröffentlicht. So schlägt sich David in einer kleinen Zeitungsredaktion durch, um sich in den Abendstunden in seine schriftstellerischen Ambitionen zu vertiefen. Später kann er sich sogar ganz und gar dem Schreiben von Büchern widmen, reich wird er damit allerdings nicht.
Davids zweite Leidenschaft neben dem Schreiben ist Cristina, die er bereits seit Jahren aus der Ferne beobachtet. Mit der Zeit gewinnt der junge David an Selbstvertrauen, reift spürbar und verhilft seinem guten Freund und Gönner Pedro Vidal zum schriftstellerischen Durchbruch. Aber der eigene Erfolg bleibt aus, die gesundheitlichen Einschränkungen hingegen steigen drastisch an. Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Der undurchsichtige Verleger Andreas Corelli bietet David eine hohe Summe und die Aussicht auf dauerhafte Genesung. Schnell sind alle Bedenken ausgeräumt, denn die Gegenleistung erscheint geradezu winzig. Doch sie soll David den Verstand kosten
Zügig stellt sich bei "Das Spiel des Engels" die vertraute Atmosphäre des Vorgängers ein. Die Handlung spielt wie "Der Schatten des Windes" in Barcelona, die Industrialisierung schreitet stetig voran und taucht die Stadt in einen rötlichen Schimmer. Die Grenzen zwischen Arm und Reich sind in der ganzen Stadt deutlich sichtbar. David, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, muss seinen Weg im Leben erst mühsam finden, während Pedro ein Leben in Luxus führt und im Gegensatz zu David nicht auf das Schreiben von Groschenromanen als Broterwerb angewiesen ist.
Die Handlung wird in einer blumigen, sehr detailverliebten Sprache relativ gemächlich vorangetrieben. Der Autor lässt sich Zeit bei der Einführung seiner Charaktere und bietet den Lesern seines mehr als siebenhundert Seiten starken Romans die Möglichkeit, viele Orte wiederzuentdecken. Bewegt sich das Buch sprachlich auf einem hohen Niveau, so kann man das von der Handlung jedoch nur in Teilen behaupten. Es ist nicht klar ersichtlich, was Zafón nun eigentlich zu Papier bringen wollte - einen klassischen Coming-of-Age-Roman in einem historischen Setting? Einen Kriminalroman mit phantastischen und esoterischen Elementen? Vielleicht auch ein bisschen von beidem mit einer guten Prise autobiografischem Nähkästchengeplauder. Denn es geht natürlich in erster Linie wieder um eines: Bücher. Gute, lesenswerte Bücher, die eine Seele haben und um Bücher, welche die Seele verderben und in den Wahnsinn oder in Davids Fall wohl eher in die Schizophrenie führen.
So schön und leichtfüßig sich das liest - es ist bisweilen auch etwas ermüdend. Temporeichen Szenen schließen sich eher unspektakuläre, beinahe langweilige Szenen an. Eben noch ist der junge Schriftsteller auf der Flucht vor der Polizei, da hat er schon wieder Augen für die Schönheit seiner Stadt.
Mit "Das Spiel des Engels" erhält der Leser einen vielschichtigen Roman, der in einem sehr lebendigen und plastischen Barcelona der Zwanziger Jahre spielt. Leider konnte Carlos Ruiz Zafón nicht an den viel gefeierten Vorgänger anknüpfen. Für Freunde von "Der Schatten des Windes" ist das vorliegende Buch allerdings trotzdem eine Empfehlung wert, da es ein Wiedersehen mit der Buchhandlung Sempere und dem Friedhof der vergessenen Bücher gibt. Leider kann die Gesamthandlung nicht komplett überzeugen. Dabei ist sie nicht zu komplex, jedoch zu undurchsichtig und wirr - da hilft es auch nicht, dass der Autor vieles ungesagt lässt und die Fantasie des Lesers anregt.