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Ein bestialischer Serienmörder macht Hamburg im Jahre 1842 zu einem unsicheren Pflaster. Bereits sieben grausam verstümmelte Leichen hat die Polizei gefunden; Prostituierte größtenteils, aber auch den Spross einer wohlhabenden Hamburger Familie. Wohl vor allem aus diesem Grund übt die Stadtführung Druck aus, um den Täter, der seine Opfer offenbar bei lebendigem Leibe am Gehirn operiert, so schnell und leise wie möglich dingfest zu machen. Doch noch tappt der couragierte Polizeiaktuar Kettenburg, der die Ermittlungen in dem Fall leitet, im Dunkeln. Gerade das jüngste Opfer des scheinbar Wahnsinnigen wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Auf einem Karren wurde der unbekannte Tote von zwei Uhlen - den Hamburger Nachtwächtern - entdeckt; das Gesicht dermaßen entstellt, dass eine Identifizierung nahezu ausgeschlossen scheint. Noch verwirrender als die Tat selbst ist das kleine Armband mit der eigenartig blinkenden Ziffernfolge und die schlittenförmige Maschine, die in unmittelbarer Nähe des Opfers aufgefunden wurden. Was hat es damit auf sich, und wo ist der Zusammenhang?
Rund 164 Jahre später bekommt der Hamburger Medizinstudent Tobias ein sonderbares Geschenk: Einen länglichen Hebel mit einem kristallen Knauf. Absender ist offenbar derselbe mysteriöse Gönner, der dem Waisenjungen Tobias bereits seit frühester Kindheit zu jedem Weihnachten ein Geschenk macht: Spielzeug, Kleidung, Geld und Elektronikartikel. Doch zum ersten Mal hat Tobias geheimnisvoller Freund eine Botschaft beigelegt, eine Audio-Aufzeichnung, die ihn als alten Mann ausweist und in der dieser ihn erstmals um ein persönliches Treffen bittet. Als kleinen Vorgeschmack rät ihn der Fremde zu einem unspektakulären Experiment mit dem kostbar wirkenden Hebel - welches auch prompt ein spektakuläres Ergebnis erzielt. So neugierig geworden, folgt Tobias schließlich tatsächlich der seltsamen Einladung; und trifft in der ABC-Strasse auf einen alten Uhrmacher, der ihn zu nicht weniger als einer Zeitreise verhelfen will. Doch Tobias zweifelt eher am Verstand des Alten und hat keineswegs vor, sich auf irgendwelche gewagten Versuche mit merkwürdig aussehenden Apparaten einzulassen. Aber als ein Dritter die beiden ungleichen Männer stört und im Handgemenge Schüsse fallen, findet sich Tobias in einer fast aussichtslosen Lage wieder. Seine einzige Hoffnung ist eine Flucht durch die Zeit ...
Im Hamburg der frühen Neuzeit gestrandet, wird Tobias fast augenblicklich in die schreckliche Mordserie verwickelt, welche die Stadt dieser Tage erschüttert. Er selbst stößt auf eines der grausam misshandelten Opfer, und scheinbar auch auf den Täter, den er bei der Beseitigung der Leiche in die Quere kommt. Als seine Zeitmaschine in den Fluss stürzt und der Fremde sich den Kristalhebel aneignet, beginnt eine rasante Verfolgungsjagd durch die alte Stadt, an deren Ende Tobias zwei Damen retten muss und selbst verletzt wird. Von der Familie Lewald aufgenommen und leidlich durch den fadenscheinigen Vorwand einer Amnesie getarnt, beginnt für Tobias das Abenteuer seines Lebens. Er muss die Zeitmaschine zurückbekommen und eine Mordserie aufklären, deren Hauptverdächtiger er langsam aber sich selbst zu werden droht. Doch das Hamburg Mitte des 19. Jahrhunderts ist nicht dasselbe, das er aus seiner Zeit kennt - und wird auch in dieser Zeit nicht mehr lange das alte Hamburg bleiben: Eine gewaltige Katastrophe steht bevor und droht das Antlitz der Jahrhunderte alten Stadt für immer zu verändern.
Es ist praktisch unmöglich eine Zeitreisegeschichte zu lesen, ohne im Hinterkopf Vergleiche mit den Großen dieses Subgenres zu ziehen: mit H. G. Wells Klassiker "Die Zeitmaschine", mit Robert Zemeckies genialer Kino-Trilogie "Back to the future" und vielleicht sogar mit der vierten Star Trek-Kinoreise der alten Enterprise-Crew - direkt in unsere Gegenwart. Im besten Fall kann man dem Autor nachsagen, dass er sich inspirieren ließ, im Schlechtesten, dass er bloß abgekupfert hat. Denn im Grunde arbeiten alle "Timetravel"-Geschichten mit ziemlich identischen Konzepten, mit den üblichen Paradoxen, Parallelrealitäten und der-Kreis-schließt-sich-Schemata. Allem Anschein nach war das auch Thomas Finn bewusst, denn in "Der Funke des Chronos" unternimmt er erst gar nicht den Versuch, das Rad neu zu definieren. Sogar die Gestalt der Zeitmaschine ist vom Urklassiker selbst einfach übernommen worden und der Held der Geschichte ist aus einem ganz ähnlichen Grund gezwungen, die Gegenwart zu verlassen, wie einst Marty McFly in "Zurück in die Zukunft".
Der Natur eines Zeitreise-Romans entsprechend, empfiehlt es sich auch bei Thomas Finn, logische Überlegungen außen vorzulassen und einfach nur das Spiel der Möglichkeiten zu genießen. Tatsächlich gibt der Autor im Nachwort unumwunden zu, dass er den Leser auf eine Rundfahrt durch seine Wahlheimat mitnehmen wollte, dass er Hamburg und seine Geschichte denen näher bringen wollte, die ihn auf seine aufregende Reise ins 19. Jahrhundert begleiten möchten: Stadtteile, Dialekte, alte Bauwerke und berühmte Hamburger Originale, nichts bleibt unerwähnt und unbeachtet in Finns Quasi-Hommage. Gleichzeitig nutzt er die Gelegenheit, einen anderen legendären Wahl-Hamburger und schriftstellerischen Kollegen ins Geschehen einzubinden: Heinreich Heine. Der berühmte Dichter taucht zwar erst relativ spät im Buch auf, spielt dann aber eine echte Hauptrolle und wird - so die Absicht Finns - vielleicht das Interesse des einen oder anderen Lesers an seinem Schaffen wecken.
Bei all dem bleibt aber auch die Geschichte nicht auf der Strecke. Durchaus spannend und unvorhersehbar verlaufen Tobias Ermittlungen in der Vergangenheit, und an dem Rätsel um den "Stein der Weisen" und dem Mysterium um die Zeitmaschine werden Fantasy-Fans wie Hobby-Verschwörungstheoretiker ihre helle Freude haben.
Fazit: Mit "Der Funke des Chronos" gibt es endlich eine wirklich gute deutsche Zeitreisegeschichte. Mit viel Fantasie, aber auch mit Liebe zum Detail lädt Thomas Finn den Leser ein, ihn auf eine Reise in das alte Hamburg zu begleiten, durch seine Strassen und Gassen und alten Gemäuer - eine Welt für sich, die sich schließlich während des großen Brandes in Rauch auflöst. Spannend, romantisch, magisch und mit einem guten Schuss Nostalgie hat "Der Funke des Chronos" alles, was man von einem Krimi, einem Thriller, einem historischen Roman und einer fantastischen Geschichte erwarten darf. Uneingeschränkt empfehlenswert.