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 Der Horla und andere phantastische Geschichten


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Diese Hörbuch-Ausgabe beinhaltet vier ungekürzte Geschichten von Guy de Maupassant. Gelesen werden sie von Wilfried Hochholdinger.

Der Horla
Seinem Tagebuch vertraut ein junger Mann an, dass er langsam aber sicher verrückt wird - oder aber irgendein Wesen beginnt, von ihm Besitz zu ergreifen. Er ist nicht mehr Herr seiner Entscheidungen, beginnt, sich zurückzuziehen und den Befehlen eines anderen zu folgen. Ist es Irrsinn oder Realität, dass etwas ihn leitet, ihn führt, ihm überlegen ist? Doch wie soll er das Unsichtbare, nicht Greifbare, das Unfühlbare und Unmögliche feststellen, wie soll er Gewissheit erlangen, dass es wirklich etwas gibt, das sich Horla nennt und ihn umgibt, wie ein Geist, wie ein höheres Wesen, wie ein Wille, der den seinen verdrängt?

Dreikönigstag
Der Comte führt seine Männer in ein kleines Dorf und bricht in ein leer stehendes Haus ein. Die Männer stellen Wachtposten auf und richten sich häuslich ein, bereiten gar ein Fest vor. Nur einige Damen fehlen noch zu einem heiteren Fest inmitten des Krieges. Der Comte bricht auf, den Pfarrer des Ortes zu suchen und ihn einzuladen. Natürlich in entsprechender Begleitung.

Clochette
Die alte Näherin ist gestorben. Die hinkende, hässliche alte Frau wird unter Mühen aus ihrem Turmzimmer nach unten getragen, um sie fort zu schaffen. Der Arzt, der ihren Tod amtlich bestätigt und die Todesursache notiert, erzählt die traurige Geschichte der einstmals wunderschönen Frau.

Der Bursche
Seine geliebte Frau ist tot. Viel zu jung starb die Tochter eines Freundes, die er heiratete, um sie vor der Armut zu retten. Der alte Mann bricht unter Last dieses Schicksals fast zusammen. Doch als er in sein leeres Haus zurückkommt, liegt ein Brief von ihr auf dem Tisch. Geschrieben am Morgen ihres Todestages, an ihn, zu lesen nach ihrem Tode.

Die Tote
Er ist der Verzweiflung nahe. Sie war noch so jung und ihm treu ergeben, nun ist sie tot. Unfassbar und entsetzlich. Er kann den Friedhof, kann ihr Grab, ihre letzte Ruhestätte nicht verlassen. Er versteckt sich hinter einigen Grabsteinen und erwartet die Dunkelheit, den Trost der Nacht und die Einsamkeit ohne sie. Doch in der völligen Dunkelheit der mondlosen Nacht sucht er ihren Grabstein vergeblich. Verzweifelt irrt er durch die Grabreihen, sinkt auf einer Marmorplatte nieder und sinnt über die Tragik seines Daseins nach. Da erzittert der Stein unter ihm und voller Grauen sieht er, wie sie sich langsam emporhebt und das Grab freigibt.

Der Schriftsteller Guy de Maupassant starb 1893 in geistiger Verwirrung. Da auch seinen Bruder dieses Schicksal ereilte, wusste der Autor um seine fragile geistige Gesundheit. Seinen Ängsten, seinem beginnenden Wahn, seinen inneren Qualen versuchte er in "Der Horla" ein Gesicht zu geben. Mit exakter Sprache, sehr genauen Beschreibungen seiner emotionalen Gestimmtheit und seiner beeinträchtigten Wahrnehmung, einer aus der Alltäglichkeit langsam herausbrechender Irrealität, beeindruckt diese Geschichte auch heute noch. Die 1883 verfasste Geschichte "Der Horla", hier ungekürzt von Wilfried Hochholdinger vorgetragen, ist Urform und Vorbild vieler Horrorgeschichten und der Fantasy-Literatur. Sie ist auf eine subtile Art und Weise irritierend. Die zögerliche Auseinandersetzung eines gesunden Geistes mit der Vorstellung, dem Irrsinn anheim zu fallen oder völlig gesund Dinge wahrzunehmen, die es nicht geben kann, die aber real sind, werden von Maupassant äußerst gekonnt instrumentalisiert, um dem Leser - hier dem Hörer - vor Augen zu führen, dass er sich selbst nie sicher sein kann, ob seine Wahrnehmungen und Beobachtungen wahrhaftig und real oder eingebildet und subjektiv sind. Maupassant involviert geschickt den Leser in sein Geschehen und zeigt, wie schmal der Grad ist, auf dem der so genannte geistig Gesunde wandelt und wie leicht er vom diesem Weg abweichen kann.
Zu den vier dem "Horla" folgenden Erzählungen ist nur wenig zu sagen. Einzig die Geschichte des Liebenden, der die Nacht auf dem Friedhof verbringt, ist "fantastisch" im Sinne der Ankündigung dieses Hörbuchs. Sie ist zwar weit vom Niveau des "Horlas" entfernt, aber zeigt die Kunst des Autors, Realität mit Übernatürlichem zu verweben. Die beiden kurzen Hörstücke Der Bursche und Dreikönigstag sind eher kurze Anekdoten, die mäßig spannend und ohne jeden Horror oder jede "Fantastik" auskommen - sie sind nichtssagend und wenig interessant. Auch Clochette ist langweilig. Hier wird nur das tragische, ansonsten aber wenige markante Schicksal einer Näherin Gegenstand der Erzählung.

Ein besonderes Kapitel ist der Stil des Vortrags von Wilfried Hochholdinger. Er liest die Geschichten als wären es Gedichte und irritiert immer wieder den Hörer durch scheinbar falsche Betonungen. Die Sprachmelodie lässt Fragen, Satzenden, markante Textstellen, Wiederholungen des Textes, Ausrufezeichen, Einschübe, Attribute und Feststellungen nicht unmittelbar als solche hörbar werden. Die zarten, fast ironischen Hebungen in der Betonung, die einer Art Singsang unterworfenen Sätze, die stilistisch eigentümlich wirkende Rhythmisierung des Textes sind sehr gewöhnungsbedürftig. Fast wirkt es, als stände der Schauspieler Hochholdinger auf einer dunklen Bühne, umgeben von einem großen Publikum und gäbe eine Sprechrolle zum Besten. Das mag sich zwar deutlich abheben vom sonstigen Einerlei vieler Hörbücher, lässt aber den Hörer immer wieder zögern und zaudern, ob der Diskrepanz zwischen der Tragik des Textes und der scheinbaren Aussage des Vortragenden. Erst wenn Gewöhnung eintritt, der Hörer diesen Stil adaptiert hat, gelingt es, dem Sprecher zu folgen. Es wird deutlich, dass der Irrsinn, die alptraumhafte Realität des in der Geschichte sich verwirklichenden Autors, durch diesen ungewöhnlichen Stil betont, vertieft und scharfkantig herausgearbeitet wird. Doch es bleibt die Klippe der Irritation, die den Vortrag in die Nähe des Scheiterns bringt. Entweder vermag man seine Intention zu erfassen oder verzweifelt an ihm.

Fazit: Lohnend ist hier nur "Der Horla". Es ist eine der bekanntesten und beeindruckendsten Vertreter eines Genres, das Maupassant mitbegründet hat. Dank des Sprechers Hochholdinger wird diese Geschichte dem Hörer lange im Gedächtnis bleiben. Vielleicht aber als Beispiel für eine misslungene Leistung, dieses Risiko geht der Schauspieler bewusst ein. Leider sind die drei kurzen, dem Horla folgenden Geschichten schwächere Beispiele der Kunst von de Maupassant, allenfalls Die Tote vermag noch zu fesseln.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 2 | Erschienen: 01. September 2006 | ISBN: 3866100167 | Laufzeit: 145 Minuten | Originaltitel: Le Horla | Preis: 7,50 Euro

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