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Haben Sie schon einmal daran gedacht, jemanden umzubringen? Hatten Sie vielleicht sogar ganz genaue Vorstellungen davon, wie Sie dabei vorgehen würden, wenn es sich ergäbe? Sie wären alles andere als ein ungewöhnlicher Fall.
David M. Buss hat sich jahrelang mit der Psychologie und dem evolutionsbedingten "Sinn" des Mordens befasst und präsentiert in diesem Buch seine Ergebnisse, die durchaus dazu angetan sind, uns zu beunruhigen.
Mord, so erläutert der Autor, wurde durch Selektion im Lauf der Evolution tief in unserer Natur verankert als Instrument zur Beseitigung von Menschen, die uns entweder durch Konkurrenz um Ressourcen schaden (könnten) oder ihrerseits eine Bedrohung für unsere Sicherheit darstellen. Bei der Konkurrenz geht es vor allem um die Weitergabe unserer Gene, sprich, um attraktive Partner. Buss erklärt, wie und warum sich in der Evolution Partnerwahlmuster herausgebildet haben, die in allen Kulturen praktisch identisch sind, und dass der Verlust des Partners an einen Konkurrenten die eigenen Fortpflanzungschancen massiv verringert. Der Autor hat viele Statistiken ausgewertet und weist nach, dass ein Großteil der Morde in irgendeiner Hinsicht unter Bekannten beziehungsweise Verwandten und ehemaligen Lebensgefährten stattfindet. Gefährdet sind vor allem Frauen, die sich von ihren Männern oder Lebensgefährten getrennt haben, und ihre neuen Liebhaber. Verlassene Frauen morden ebenfalls, jedoch erheblich seltener.
Der größte Teil des Buchs befasst sich mit dem Aspekt des Mordes an ehemaligen Lebensgefährten. In einem weiteren Kapitel geht es um "Blut und Wasser", also darum, warum Eltern ihre Kinder töten, warum Stiefkinder besonders gefährdet sind, und wie es dazu kommt, dass Kinder in seltenen Fällen ihre Eltern ermorden. Der darauf folgende Abschnitt behandelt die Themen Status und Reputation: Mord als Mittel zum Aufstieg, wie ihn viele Despoten verwendet haben, und den Ehrenmord zur Wiederherstellung des Rufs einer Person oder Familie in vielen Kulturen. Abschließend verbindet der Autor den psychologischen und den juristischen Aspekt und wirft die Frage auf, ob Mord, ein genetisch in uns verankertes Verhaltensmuster, unvermeidlich und daher eigentlich nicht strafbar sei.
Die Präsenz mörderischer Gedanken in vielen, wenn nicht allen von uns mag beunruhigend sein, aber sie lässt sich nicht von der Hand weisen. Der Autor und sein Team haben im Rahmen einer internationalen Studie über fünftausend Person zu ihren Tötungsfantasien befragt und eine Fülle von detaillierten Antworten erhalten. Diese zeigen, warum der Autor dem sexuellen Aspekt so viel Bedeutung beimisst und anhand vieler, nur scheinbar verschiedener Morde und Mordfantasien seine Ausführungen darüber belegt, dass es uns unbewusst im Leben vor allem darum geht, für den aus biologischer Sicht attraktivsten Partner begehrenswert zu sein, mit ihm (oder auch mit mehreren Partnern, wenn möglich) gesunde, ebenfalls fortpflanzungsfähige Nachkommen zu zeugen und dafür zu sorgen, dass diese optimal gedeihen.
Dass Fremdgehen zum biologischen "Geschäft" gehört, jedoch sehr gefährlich werden und sexuelle Konkurrenz einen der Wettstreiter das Leben kosten kann, haben schon zahlreiche Autoren aus diversen wissenschaftlichen Disziplinen bewiesen, neu ist das also nicht. Der Kontext, die genetische Selektion hin zur grundsätzlichen Bereitschaft zum Mord, wobei wir meistens "Kosten" und "Nutzen" sorgfältig abwägen, erweist sich allerdings in dieser Form und Gründlichkeit durchaus als bislang einmalig, hochinteressant und ziemlich bestürzend. Da verzeiht man gern die manchmal allzu ausführliche Darstellung der evolutionsbiologischen Hintergrundinformationen.
David M. Buss argumentiert schlüssig und anhand der Ergebnisse sorgfältiger Recherchen und erklärt nicht nur, welche Voraussetzungen häufig zu Mord führen, sondern auch, welche Anti-Mordstrategien potenzielle Opfer einsetzen - häufig völlig unbewusst.
Das Fazit am Ende des Buchs fällt sehr düster aus und kann dem Leser einiges an Unbeschwertheit rauben, vor allem in Liebesangelegenheiten. Sollten Sie generell zu Ängstlichkeit neigen, lesen Sie das Buch lieber nicht, denn Sie werden anschließend womöglich niemanden mehr in Ihr Herz und Ihr Bett lassen außer vielleicht einen Hund. Implizit scheint der Autor diese Haltung zu propagieren, denn auch der sanfteste Liebhaber kann in einer für die Weitergabe seiner Gene bedrohlichen Situation zum Mörder werden, und die hingebungsvolle Ehefrau und Mutter wird unter Umständen durch eine Scheidung die Ressourcen für ihre Kinder bedroht sehen und "ausrasten".
"Der Mörder in uns" ist folglich ein interessantes und sehr informatives Buch, könnte aber zu Nebenwirkungen führen. Lesen Sie also vor Gebrauch den Beipackzettel sorgfältig durch und verstecken Sie das Buch vor Ihrem eifersüchtigen Lebenspartner - seine Inhalte würden möglicherweise dessen innerste Gedanken rechtfertigen.