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Im Jahr 1919 brachte der neu gegründete Münchner Dreiländerverlag mit "Der Orchideengarten" die weltweit erste Zeitschrift für phantastische Literatur heraus – vier Jahre vor Erscheinen des populären US-Pulp-Magazins "Weird Tales", in welchem H. P. Lovecraft, Clark Ashton Smith und Robert E. Howard ihre Geschichten veröffentlichten. Als Herausgeber und renommiertes Aushängeschild dieses phantastischen Gartens wurde der österreichische Schriftsteller Karl Hans Strobl (1877-1946) engagiert, der zusammen mit Gustav Meyrink, Hanns Heinz Ewers und Alfred Kubin das Viergestirn der deutschsprachigen Phantastik des frühen 20. Jahrhunderts bildet. In einer bereits 1918 erschienenen Probenummer wurden große Namen versprochen – neben Meyrink und Strobl etwa Leo Perutz, Alfred Döblin, Alexander Moritz Frey oder Paul Leppin –, aber nur wenige der angekündigten Beiträger waren später tatsächlich im "Orchideengarten" vertreten; stattdessen mutierte die Zeitschrift sehr bald zur Spielwiese teils amateurhafter oder untalentierter Autoren, von denen manche heute zurecht in Vergessenheit geraten sind. Daneben fanden Übersetzungen prominenter englischer, französischer und russischer Schriftsteller (Arthur Conan Doyle, H. G. Wells, Charles Nodier, Théophile Gautier, Alexander Puschkin etc.) ebenso Eingang in den "Orchideengarten" wie Erzählungen von Ludwig Tieck und E. T. A. Hoffmann. Bereits 1921, während des dritten Jahrgangs, musste die Zeitschrift aufgrund geringer Abonnentenzahlen eingestellt werden – nach 51 Ausgaben plus Probeheft.
Heute trifft man den "Orchideengarten" lediglich in einigen Bibliotheken, in privaten Sammlungen bibliophiler Phantastikfreunde und gelegentlich auch in Antiquariaten an, wo man schon mal einen dreistelligen Euro-Betrag hinblättern darf – pro Jahrgang, wohlgemerkt. Unter Liebhabern phantastischer Literatur genießt die Zeitschrift einen hohen Bekanntheitsgrad, doch über den Inhalt der einzelnen Hefte ist kaum etwas bekannt; wer bislang das Glück hatte, eine Ausgabe des "Orchideengarten" ersteigern zu können, der kaufte gewissermaßen die Katze im Sack. Diese brennende Lücke in der Phantastikforschung hat nun Robert N. Bloch, Deutschlands führender Kenner der phantastischen Literatur, mit seiner jüngst erschienenen kommentierten Bibliographie geschlossen. Und dies mit Erfolg, wie nach eingehender Betrachtung bemerkt werden muss.
Bloch baut seine Bibliographie wie folgt auf: In einem knappen Vorwort werden die Geschichte der kurzlebigen Zeitschrift anhand einiger Eckdaten aufgerollt, wichtige Autoren und Illustratoren, die im "Orchideengarten" vertreten sind, aufgerufen und die Rubriken der Zeitschrift vorgestellt. Danach listet Bloch die Inhalte der einzelnen Ausgaben – inklusive der Probenummer von 1918 – in chronologischer Reihenfolge auf, macht Angaben zu den Illustratoren der Umschlagsbilder und gibt bei Übersetzungen fremdsprachiger Texte den Originaltitel sowie das Jahr der Ersterscheinung an. Dabei verzeichnet die Bibliographie nur erzählende Texte, Gedichte und Illustrationen werden ebenso wenig berücksichtigt wie Beiträge in Rubriken und Werbeanzeigen. Ein Autorenindex und farbige Abbildungen von 36 ausgewählten Umschlägen runden Blochs bibliographisches Unternehmen ab.
Eine Art Gebrauchsanleitung sucht man im Vorwort der Bibliographie vergebens, doch eine solche ist überhaupt nicht vonnöten: Anstatt den Benutzer mit ausufernden Informationsfluten abzuschrecken, hält Bloch die Angaben zum jeweiligen Eintrag angenehm übersichtlich und beschränkt sich auf das Wesentliche. Ein schlicht gehaltenes Layout hilft hierbei tatkräftig mit, nicht den Überblick zu verlieren und im bibliographischen Hochwasser an Jahreszahlen, Titeln und Verweisen auf Nachdrucke unterzugehen. Stellenweise eingestreute Abbildungen von Originalillustrationen lockern die Bibliographie angenehm auf und geben zugleich einen Eindruck von der grafischen Seite des "Orchideengarten".
Der Verlag Lindenstruth bringt die Bibliographie als geheftete Broschur heraus. Damit legt der Verlag zwar keinen Eyecatcher fürs Bücherregal vor, wie es etwa Blochs zum Standardwerk avancierte "Bibliographie der Utopie und Phantastik 1650-1950" als schmuckes Hardcover ist, doch der damit einhergehende niedrige Preis von läppischen zwölf Euro wischt sämtliche Bedenken diesbezüglich beiseite. Endlich einmal eine preislich erschwingliche Spezialbibliographie!
Was sich jedoch weitaus schwieriger vom Tisch wischen lässt, sind einige kleine Schönheitsfehler im Detail. So vermisst man etwa einen eigenen Index für die im "Orchideengarten" vertretenen Illustratoren; schließlich haben mit Alfred Kubin oder Heinrich Kley nicht gerade namenlose Amateure grafische Beiträge geliefert – zumal Bloch selbst im Vorwort betont, dass der "Orchideengarten" auch "die graphisch am besten ausgestattete Zeitschrift des Genres" (S. 8) ist. Ferner schlüsselt Bloch Pseudonyme unverständlicherweise nur im Autorenindex, nicht aber in den bibliographischen Einträgen selbst auf. Und bedauerlicherweise wurden – wie bereits erwähnt – die lyrischen Beiträge im "Orchideengarten" nicht berücksichtigt.
Aller Kritik zum Trotz aber legt Bloch mit seiner kommentierten Bibliographie zum "Orchideengarten" eine kleine bibliographische Pionierarbeit vor, die längst überfällig war. Ein kompetentes Recherchehilfsmittel, für das Literaturwissenschaftler wie Studenten, Sammler wie Phantastikforscher aus Passion künftig dankbar sein werden.