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Auch fast einhundert Jahre nach seinem Erscheinen im Jahre 1908 ist Kenneth Grahames "Der Wind in den Weiden" ein aktuelles und vielgelesenes Buch, welches sich schon lange als Klassiker der modernen Literatur etabliert hat. Im Jahr 2002 hat der Schweizer Verlag "Kein & Aber" eine ungekürzte Hörbuchfassung des Romanes veröffentlicht, in welcher Harry Rowohlt seine eigene Übersetzung von "The Wind in the Willows" vorträgt.
Der Frühling steht wieder einmal vor der Türe und der Maulwurf steckt bereits mitten im Frühjahrsputz. Doch all das Schuften und Putzen! Das ist auch für den Maulwurf eine lästige Angelegenheit. Schließlich wirft er Besen und Pinsel hin, kriecht aus seinem kleinen Haus hinaus ins Freie und macht sich auf den Weg, die Welt zu erkunden. Da gelangt der Maulwurf an einen Fluss - all das Wasser, wie es plätschert und gurgelt! Für den Maulwurf ist dies eine gänzlich neue Erfahrung, doch die Wasserratte, mit der sich der Maulwurf schnell anfreundet, ist ein erfahrener Flussbewohner und nimmt den Maulwurf mit zu einem ausgiebigen Picknick. Von nun an lebt der Maulwurf im Haus der Ratte und lernt eine ihm völlig fremde, aber auf ihre Weise sehr faszinierende Welt kennen. Er hört Geschichten über den Wilden Wald, in welchem die Hermeline und Wiesel ihr Unwesen treiben, er lernt den Kröterich kennen, der eines der schönsten Häuser am ganzen Fluss besitzt - vielleicht sogar das schönste überhaupt?! - und er begegnet dem Dachs, einem brummigen, alten Tier, das die Gesellschaft anderer allerdings meist ablehnt. Eines Tages beschließt der Maulwurf jedoch, den Dachs einmal zu besuchen und ihn näher kennenzulernen. Da dieser aber mitten im Wilden Walde wohnt, warnt ihn die Ratte vor diesem Vorhaben, doch der Maulwurf lässt sich nicht beirren und stiehlt sich kurzerhand davon - und verläuft sich im dunklen, verschneiten Wilden Wald. Als die Wasserratte das Verschwinden des Maulwurfs bemerkt, ahnt sie Böses. Schnell rüstet sie sich mit zwei Pistolen und zieht los, ihren Freund zu suchen. Als sie den verängstigten, bibbernden Maulwurf endlich findet, ist es schon spät, doch durch einen glücklichen Zufall finden die beiden den Eingang zum Bau des Dachses, der seine Freunde über Nacht beherbergt und sie am nächsten Morgen durch einen Gang bis an den Rand des Wilden Waldes führt.
Zwar haben Ratte und Maulwurf dieses Abenteuer wohlbehalten überstanden, doch nun macht ihnen ihr Freund, der Kröterich, Sorgen. Nachdem dieser nämlich seine Leidenschaft für Ruderboote aufgegeben hat und sein Zigeunerwagen durch das waghalsige Überholmanöver eines Automobils im Straßengraben gelandet ist, geht ihm letzteres Gefährt nicht mehr aus dem Kopf. Genauso schnell, wie er fortan mit einem Automobil über die Landstraße braust, genauso oft enden diese Fahrten mit einem Unfall. Und dies zieht harte Konsequenzen nach sich. Selbst als der Dachs, die Ratte und der Maulwurf eingreifen und den Kröterich zur Vernunft bringen wollen, hilft aller Tadel nichts. - Ehe es sich der Kröterich versieht, steht er vor Gericht, weil er ein Auto gestohlen und Polizeibeamte beleidigt hat, und soll für zwanzig Jahre ins Gefängnis wandern. Das haben auch die Wiesel und Hermeline aus dem Wilden Wald gehört, die daraufhin kurzerhand den Landsitz Krötinhall stürmen und sich im Haus des Kröterichs behaglich einrichten ...
Obwohl zahlreiche Kritiker und Rezensenten Kenneth Grahames Roman nach seinem Erscheinen im Oktober 1908 äußerst skeptisch betrachteten, verkaufte sich die Geschichte um den Maulwurf, die Wasserratte, den Kröterich und den Dachs hervorragend. Vor allem jugendliche Leser ließen sich von der Meinung der erwachsenen Kritiker nicht beeindrucken und konnten sich mit dieser fantastischen Erzählung identifizieren, doch auch zeitgenössische Literaten wie C.S. Lewis - Autor der erfolgreichen "Chroniken von Narnia" - oder besonders A.A. Milne - der später mit "Pu der Bär" selbst berühmt wurde - lobten Grahames Werk. So kam es, dass der Verlag Methuen - der sich entschlossen hatte, "The Wind in the Willows" zu veröffentlichen, nachdem einige andere Verlage das Manuskript abgelehnt hatten - binnen fünfzehn Monaten ganze fünf Auflagen des Buches drucken musste. Und auch heute noch wird die einfühlsame Geschichte über das Leben der Tiere am Fluss oft und gerne gelesen.
Das verwundert auch nicht, denn Kenneth Grahame hat mit "Der Wind in den Weiden" nicht nur eine zeitlose, sondern auch spannende Geschichte geschrieben, die aus allabendlichen Erzählungen für seinen Sohn Alastair entstand. Dabei bedient sich Grahame einfacher, gleichzeitig aber auch sehr aussagekräftiger Worte, mit denen er eine dichte, aber dennoch angenehm unscheinbare Atmosphäre aufbaut, die dem Buch Tiefe und Farbe verleiht. Während die Abenteuer der Tiere meist einem sehr einfachen Strickmuster folgen, fallen vor allem zwei Kapitel auf, die ein wenig aus der Atmosphäre der Erzählung herausstechen, da Maulwurf und Ratte sich in diesen sowohl mystischen Begegnungen als auch philosophisch angehauchten Fragen gegenüberstehen sehen. Zum einen wäre dies die Episode "Jeder ist ein Vagabund", in welcher sich die Wasserratte Gedanken über ein rastloses Leben und die Bedeutung eines behaglichen Heimes machen muss, zum anderen das Kapitel "Der Pfeifer vor dem Tor zur Dämmerung", da dort der Halbgott Pan einen kurzen Auftritt hat und dem Maulwurf und der Wasserratte hilft, ein verlorenes Fischotterjunges wohlbehalten wiederzufinden. Doch obwohl diese beiden Kapitel ein wenig aus der sonstigen Erzählung herausfallen, lassen sie sich wie die übrige Geschichte auch wunderbar und kurzweilig lesen. Ob jedoch auch jüngere Leser hinter den tieferen Sinn dieser Abschnitte kommen werden, bleibt fraglich; Spaß werden sie aber auf jeden Fall haben.
Seinen Reiz verdankt "Der Wind in den Weiden" im Deutschen natürlich auch der Übersetzung durch Harry Rowohlt, die dem vorliegenden Hörbuch zugrunde liegt. Durch seinen ganz eigenen, nicht selten sogar eigensinnigen Übersetzungsstil hat sich Harry Rowohlt schon vor Jahren einen Namen gemacht, der Aufdruck "Übersetzt von Harry Rowohlt" gilt mittlerweile als Zeichen für herausstechende Literatur. Auch Kenneth Grahames Roman kommt in den Genuss einer solchen Übersetzung und so werden die spannenden Abenteuer um die Tiere am Fluss gleichzeitig zu einer vergnüglichen Fahrt durch die Möglichkeiten der deutschen Sprache, die der Übersetzer gekonnt ausreizt.
Und was würde näher liegen, als den Übersetzer eines Buches als Sprecher für die eigene Übersetzung zu engagieren, wenn sich selbiger bereits durch andere Interpretationen als Hörbuchsprecher bewiesen hat? So hält es auch der "Kein & Aber"-Verlag und so hat Harry Rowohlt für das vorliegende Hörbuch seine eigene Übersetzung ungekürzt eingelesen. Und Rowohlt ist ein wirklich großartiger Sprecher. Mit seiner bassigen, brummenden Stimme führt er seinen Hörer seriös und unterhaltsam durch die Geschichten um Maulwurf, Ratte, Dachs und Kröterich und verleiht den Charakteren durch feine Modulationen Leben. Gleichzeitig spricht Harry Rowohlt sehr deutlich, setzt seine Betonungen gekonnt an die richtigen Stellen und schafft es so, seinen Hörer über mehr als sechs Stunden hinweg an die Lesung zu bannen, während der man sich durch Rowohlts Vortrag in eine andere Welt versetzt fühlt und die Landschaften des Flusses und die Abenteuer der Tiere an Realität gewinnen und sich vor den Augen des Hörers zu einer einheitlichen Geschichte zusammensetzen. Lediglich der Schluss der Lesung ist ein wenig missglückt, da dieser so abrupt kommt, dass der Hörer gar keine Chance bekommt, sich auf das Ende der Geschichte einzustellen. Hier hätte der Sprecher den letzten Satz, der sich durchaus als Schlusssatz eignet, mehr auskosten sollen, sodass die Erzählung einen runden Ausklang gefunden hätte.
Um den Leser nicht so plötzlich stehenzulassen, hätte es vielleicht auch einfach geholfen, die Lesung mit dem musikalischen Thema ausklingen zu lassen, das auch während des übrigen Hörbuchs Verwendung findet. Bei besagtem Thema handelt es sich um "Makassar" aus "Jopo in Mono" von Fay Lovsky - und diese Melodie eignet sich wirklich hervorragend für das vorliegende Hörbuch! Das Stück ist nicht nur flott, sondern macht auch Laune und schon bald singt, summt oder brummt man die Melodie zumindest innerlich mit. Somit bleibt die Auswahl dieses Stückes sehr zu loben, denn obwohl nicht speziell für diese Lesung komponiert, kann man als Hörer die verschiedenen Tiere des Flusses hier musikalisch umgesetzt finden.
Während die musikalische Begleitung hauptsächlich zu Beginn und Schluss einer CD eingesetzt wird, kommen während der eigentlichen Lesung verschiedene Hintergrundgeräusche zum Tragen, die den Vortrag Harry Rowohlts akustisch unterstützen und die Vorstellungskraft des Hörers verstärken, indem sie seiner Fantasie Anstöße zu gedanklichen Bildern geben. Diese Hintergrundgeräusche werden sehr dezent gesetzt, drängen sich also nicht in den Vordergrund und - wichtiger noch - betten sich wunderbar in den Handlungsverlauf der Erzählung ein.
Auch die Gestaltung des Hörbuchschubers weiß von sich zu überzeugen. Den Hüllen der sechs CDs, die vor der Veröffentlichung als Schuber als einzelne Teile erschienen sind, liegt jeweils eine andere schöne Farbe zugrunde, auf welche die bei allen sechs Folgen gleiche Gestaltung dann aufbaut. Während auf jeder Hüllenrückseite ein kurzer Ausschnitt aus Kenneth Grahames Roman sowie eine Trackliste abgedruckt sind, finden sich im Booklet kurze Inhaltsangaben zu den auf der CD enthaltenen Kapiteln. Die sonstigen Informationen, die die Booklets sowie die Inlays der Hüllen bieten - nämlich Angaben über Sprecher/Übersetzer und Autor, kurze Angaben zu den vier Hauptcharakteren sowie eine Karte der Umgebung -, stimmen bei allen Booklets allerdings überein. Zudem wurden die CDs, Booklets und Inlays mit Motiven des Künstlers E.H. Shepards, dessen Illustrationen zu "Der Wind in den Weiden" ihn berühmt machten, versehen. Während mir diese allerdings in der großformatigen Hardcover-Ausgabe des Buches aufgrund grober Federführung und ungenauer Colorierung wenig bis gar nicht gefallen haben, fällt dies hier wegen einer nötigen Verkleinerung der Zeichnungen nicht weiter auf.
Fazit:
Kenneth Grahames bezaubernde Geschichte über den Maulwurf, die Wasserratte, den Dachs und den Kröterich wird hier hervorragend von Harry Rowohlt vorgetragen. Über sechs Stunden hinweg kann sich der Hörer bei der Lesung zu "Der Wind in den Weiden" in der fantasievollen, vertrauten, gleichzeitig aber auch fremden Welt der Tiere am Fluss verlieren.