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 Der deutsche Krieg

1939 - 1945

Autoren: Nicholas Stargardt
Übersetzer: Ulrike Bischoff
Verlag: Fischer

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis
Bisher wurde der Zweite Weltkrieg vornehmlich als "Hitlers Krieg" betitelt. Politisch mag das korrekt sein, schließlich trug der deutsche Diktator die Hauptverantwortung für diesen abscheulichen Krieg. So sinnvoll die Herangehensweise also auch sein mag, missachtete die Verengung jedoch die Befindlichkeiten und Auswirkungen des Krieges auf die deutsche Bevölkerung. Interessant ist dabei vor allem, wie die Nationalsozialisten die deutsche Bevölkerung trotz der Entbehrungen und insbesondere nach der schmerzhaften Niederlage bei Stalingrad weiterhin auf Kriegskurs halten konnten.

In diesem Buch geht es darum, wie die deutsche Bevölkerung diesen Krieg erlebte, aushielt und mittrug.


Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, dass gerade ein Australier eine ganz neue Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg wirft, indem er die deutsche Bevölkerung ins Zentrum seiner groß angelegten Studie stellt. Bereits mit einem zweiten Blick zeigt sich jedoch Stargardts persönliche Nähe zu dem Thema – immerhin ist er Sohn eines assimilierten deutschen Juden, der 1939 aus dem Deutschen Reich emigrieren musste. Hinzu kommt, dass die gewählte Perspektive durchaus eine gewisse Brisanz enthält, da diese die Gefahr eines falsch verstandenen nationalen Relativismus nach dem Motto "Auch wir Deutsche sind Kriegsopfer" birgt. Sicherlich, die Deutschen waren von diesem Krieg betroffen, hatten auch darunter zu leiden, letztlich trugen sie diesen Krieg aber auch mit einer Mischung aus Zwang und Konsens mit.

Die Deutschen konnten weder den Nationalsozialismus noch den Krieg ablehnen, weil sie eine mögliche Niederlage für existenzbedrohend hielten.


Vielleicht ist es ja gerade die unvoreingenommene Herangehensweise eines australischen Historikers, welche dieses Buch so wertvoll macht. Denn Nicholas Stargardt wahrt in seinem fast 700-seitigen Werk die sachliche Distanz und schreibt eine deutsche Geschichte ohne deutsch-nationalen Pathos. Sein offener Blick auf die deutsche Bevölkerung zeigt vielmehr, dass die Haltungen und Erfahrungen "der" Deutschen keinesfalls unter einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Als geschickt erscheint insbesondere sein Schachzug, 26 Personen in den Mittelpunkt seines Werkes zu stellen, die den Krieg alle auf ihre ganz eigene Weise erlebten. Während Helmut Paulus, ein Arztsohn aus Pforzheim, oder Wilm Hosenfeld, Weltkriegsveteran und Volksschullehrer aus Thalau in Hessen, beispielsweise zu Kriegsbeginn Angst hatten den Krieg aus unterschiedlichen Gründen zu verpassen, erlebte Hans Albering, ein gläubiger Katholik aus dem Münsterland, den Krieg an der Westfront anfangs mit sehr widersprüchlichen Gefühlen.

Ganz im Stile angelsächsischer Geschichtsschreibung ist Stargardt ein "Geschichtenerzähler", der verschiedene Lebensgeschichten miteinander verwebt, um daraus eine kontingente Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Perspektive zu schreiben. Er benutzt hierzu vor allem Briefkorrespondenzen, welche über einen längeren Zeitraum enthalten sind. So schafft er es, auch Entwicklungen sowie Konfliktlinien zwischen einzelnen Personen darzulegen. Hilfreich ist dabei vor allem, dass Stargardt die 26 "Dramatis personae" zu Beginn in einer kurzen Übersicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens im Buch vorstellt, so dass der Leser den Überblick behält. Alles andere wäre auch sehr schade, denn die Berichte und Eindrücke dieser Personen sind das Herzstück des Buches und machen dessen Besonderheit aus. Ergänzend dazu finden sich zwar auch interessante Informationen zum taktisch-diplomatischen Vorgehen des nationalsozialistischen Regimes, letztlich sind es aber die persönlichen Einblicke dieser Menschen, welche die Hoffnungen und Ängste der deutschen Bevölkerung wie unter einem Brennglas offenlegen.

FAZIT: Eine deutsche Geschichte ganz ohne deutsch-nationalen Pathos - Stargardt schafft es, die ganz persönlichen Erlebnisse und Sichtweisen innerhalb der deutschen Bevölkerung lebendig zu erzählen und zugleich in eine sachliche, kontingente Geschichtsdarstellung zu verpacken.

Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.

Matthias Jakob Schmid



Hardcover | Erschienen: 24. September 2015 | ISBN: 9783100751409 | Originaltitel: The German War | Preis: 26,99 Euro | 848 Seiten | Sprache: Deutsch

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