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Die ersten Tage an der "Hillcrest University" in Kalifornien sind für den deutschen Literaturstudenten Matthias alles andere als erfreulich. Seine Seminarwünsche werden abgelehnt. Anstatt Kurse bei Mrs. Candall-Carruthers, einer Koryphäe am Lehrstuhl des berühmten Jacques de Vander, werden ihm Einführungsseminare empfohlen.
Doch das Blatt wendet sich, als er auf Empfehlung eines seiner Professoren zum zweiten Trimester doch noch einen Platz in dem begehrten Seminar erhält. Zudem hat er sich in Janine verliebt, die nach anfänglichem Zögern seine Liebe erwidert. Als sie auch noch eine Affäre mit Matthias beginnt und ihren Freund David verlässt, scheint sein Glück vollkommen.
Ausgerechnet David trübt die Stimmung von Matthias. Der von allen bewunderte Elite-Student und wichtigste wissenschaftliche Mitarbeiter von Mrs. Candall-Carruthers lehnt indirekt in einem Vortrag, der allergrößte Resonanz an der Uni hat, die Thesen de Vanders ab und brüskiert Carruthers gnadenlos. Aller Ämter enthoben und kaum mehr an der Uni zugegen, scheint David ausgerechnet in Matthias einen artverwandten Geist gefunden zu haben. Doch was hat David dazu bewogen vom glühenden Verehrer de Vanders zum erklärten Feind der Anhänger von dessen Thesen zu werden? Ist es wegen Janine oder verfolgt David weitergehende Interessen, wenn er ausgerechnet mit Matthias reden will?
Ein literarischer Krimi? Ein Lehrstück über Literaturwissenschaft, garniert mit Sex and Crime? Ein Beziehungs-Drama im Studentenmilieu? Ein Selbstfindungsbericht eines Austauschstudenten? Eine halbautobiografische Sinnsuche? Ein moralische Pamphlet wider das Vergessen (der Naziverbrechen und der Kollaboration der geistigen Elite mit deren Idealen)?
Von allem etwas, von allem zu wenig. Denn leider kommen viele Elemente schlicht zu kurz. Das mag an der Umsetzung als Hörbuch und den dafür notwendig gewordenen Kürzungen liegen. Oder an der komplexen Textstruktur, die wenig zugängliche Elemente mischt mit plakativen und platten Versatzstücken. Das mag an der realen Vorlage liegen, die der Autor verarbeitet hat. Oder schlicht am Rezipienten - denn dieser "Krimi" verlangt hohe Konzentration und Aufmerksamkeit.
Dieses Hörbuch ist eindeutig kein Stück für eben zwischendurch. Man muss sich dieser Geschichte widmen, muss Zeit opfern, sich einfinden in die seltsame Mischung aus Philosophie, Liebesgeschichte, literaturwissenschaftlichen Thesen und Theoremen und Anklängen an einen Kriminalroman. Dann aber muss man schlicht feststellen, dass Wolfram Fleischhauers "Der gestohlene Abend" fesselt. Zwar nicht von Anfang an - es dauert etwa zwei Stunden, bis man mit dem Erzähler, den Umständen, dem Verlauf der Geschichte warm wird, doch dann entwickelt sie einen Sog, der nicht mehr nachlässt. Auch wenn die moralisierenden Reden zum Ende hin lang geraten sind, so bringen sie doch die Lage der Intellektuellen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, der Nachkriegszeit und den Nachklängen dieser Beben bis heute sehr deutlich rüber.
Gerade der tief greifend verstörte Erzähler, der ehrlich und objektiv versucht, die Diskrepanzen in der Bewertung dieser geistigen Kollaboration auszuloten, macht betroffen, begeistert aber auch. Selten hat ein Text so klar und deutlich Stellung bezogen und die Folgen dieser ideologischen Brandstiftung bis in die späten 80er Jahre klar zumachen versucht.
Dank des exzellenten Sprechers Alexander Weise wird die innere Zerrissenheit von Matthias deutlich. Dank Weise kann man nachvollziehen, wie aus einem unbedarften Studenten, dessen Ideale und Standpunkte so heftig auf die Probe gestellt werden, ein moralischer Mensch geworden ist, der Stellung bezieht. In diesem Sinne ist "Der gestohlene Abend" ein grandios inszeniertes Lehrstück über Moral und Amoral, garniert mit einer mitreißenden Liebesgeschichte und einer spannenden Fakten- und Sinnsuche.
Es ist am Ende zwar schade, dass der Text gekürzt wurde, um auf fünf CDs zu passen, doch unterhaltsam und packend ist diese Geschichte - nicht zuletzt dank Alexander Weise - allemal.