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"Kunstwerke stammen aus der Dingwelt durch ihr präformiertes Material wie durch ihre Verfahrungsweisen; nichts in [den Kunstwerken], was [der Dingwelt] nicht auch angehörte, und nichts, was nicht um den Preis seines Todes der Dingwelt entrissen würde. Nur kraft ihres Tödlichen haben sie teil an Versöhnung. Aber sie bleiben darin zugleich dem Mythos hörig. Das ist das Ägyptische an einem jeden." So schreibt Adorno in der Ästhetischen Theorie: und dieser Satz Adornos hallt - gleich einem Echo - in Sloterdijks Nachruf auf den französischen Philosophen Jacques Derrida nach. Sloterdijk selbst bedient sich des Echos. Ein Bekenntnis Derridas leitet sein Schreiben, das Bekenntnis, er - Derrida - werde am Tage seines Todes völlig vergessen sein, das er zugleich mit der Überzeugung gegeben hat, er - wiederum Derrida - werde durch sein Werk doch ins kulturelle Gedächtnis eingehen. Solche Widersprüche sind ebenso typisch für Derridas Werk wie die Frage des Todes, des philosophischen und kulturellen Todes wie des körperlichen. Sloterdijk also sucht und findet Echosphären zu diesen Aussagen von Derrida. In sieben kurzen Kapiteln setzt er Derrida zu sieben anderen Denkern in Bezug; Niklas Luhmann, Sigmund Freud, Thomas Mann, Franz Borkenau, Régis Debray, Hegel und Boris Groys. Dabei bleibt Sloterdijk bei dem Thema Ägypten und dem Tod.
Zunächst liefert Luhmann einige Rahmenbedingungen für das Derridasche Denken: dieses sei nicht mehr stabil und zentriert, sondern flexibel und dezentriert. Mit Freud und dessen Schrift "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" wird dieses Thema auf einen zentralen Gedanken bei Derrida zugespitzt: das radikal Eigene sei nur durch eine unauflösbare Fremdheit zu erreichen; ja, erst durch diese tödliche Fremdheit sei Versöhnung möglich. Tatsächlich aber irrt der Mensch zwischen diesen beiden Polen hin und her, ohne je einen von ihnen zu erreichen. Weder wird er völlig vergessen noch völlig identifiziert.
Sloterdijks Nachruf verdichtet Derridas Philosophie in höchst eigensinniger Weise, sprachgewaltig, klug, bewusst selbstvergessen. Und wie selbstverständlich tauchen unter diesem wundervollen kleinen Text andere Denker auf, deren Namen Sloterdijk nicht nennt: Adorno und die Frage der Versöhnung; Lacan, in dessen Echoräumen fledermausartige Psychoanalytiker leben (Lacan: Schriften I); schließlich Foucaults kleiner Aufsatz "Sieben Thesen über den siebten Engel" - so als wollte Sloterdijk hier nicht nur Derrida ein ironisches Monument setzen, ein Monument, auf dem sich "allerhand Volk herumtreibt" und es mit Graffiti besprüht. Sondern als wolle er wiederholen, was Derrida getan hat: in Konstellation bringen, gegeneinander ausspielen, zeigen, dass die Wiederholung die unmögliche Möglichkeit ist.
Selbst ein solches Buch zu rezensieren scheint nicht wirklich möglich. Aber von allen bewundernden und schmähenden Nachrufen auf Derrida, sein Werk und sein Leben ist dieser Nachruf einer der schönsten. Er versöhnt sich nicht nachträglich mit dem großen französischen Intellektuellen. Er baut ihm kein Grabmal und schließt ihn auch nicht darin ein. Sloterdijk also führt - auf ganz andere Weise - Derridas Bewegungen weiter. Karl May schrieb dazu - hätte er Sloterdijk je gekannt - im "Der Schatz im Silbersee": "Man hörte das Rauschen eines Flusses und man sah trotz der ägyptischen Finsternis die phosphoreszierende Oberfläche des Wassers."