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Hella Moormann, von Beruf Apothekerin, liegt in einer Heidelberger Frauenklinik in Erwartung ihrer zweiten Tochter Marie und erzählt ihrer Bettnachbarin Rosemarie Hirte, einer ältlichen Jungfrau, ihre Lebensgeschichte.
Im Alter von 35 Jahren lernt sie Levin kennen und verliebt sich in den sieben Jahre jüngeren Studenten der Zahnmedizin. Doch Levin zeigt sich täglich ein Stück mehr von seiner gewissenlosen und gesetzeswidrigen Seite. Er sieht die Lösung seiner chronischen Geldprobleme in dem Ableben seines geizigen, reichen Großvaters Hermann Graber. Levins Großvater wird am nächsten Morgen tot aufgefunden, allerdings hatte er vor seinem Ableben testamentarisch festgelegt, dass Hella Alleinerbin sein soll, wenn binnen eines halben Jahres Levin und Hella heiraten würden.
Nach der Hochzeit ziehen Hella und Levin in die Villa des Großvaters, wo noch Margot, die ehemalige Haushälterin des alten Herrn Graber, wohnt. Margots Mann Dieter hat nach einem misslungenen Drogendeal mit Levin - wie vorher abgesprochen - die ganze Schuld auf sich genommen und dafür zwei Jahre Haftstrafe in einem türkischen Gefängnis verbracht. Daher bietet Levin ihm und seiner Frau an in der Villa zu wohnen. Hella findet heraus, dass Levin und Margot ein Verhältnis haben und beginnt Margot als ihre Haushaltshilfe zu schikanieren. Als Margot eines Tages Hella hilft die Fenster des Mansardenzimmers im ersten Stock auszuhängen, gerät Margot ins Straucheln und stürzt. Sie stirbt im Krankenhaus.
Nach Margots Tod lässt Hella sich in Levins Abwesenheit mit Dieter ein, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Kurz darauf stellt sie fest, dass sie schwanger ist, allerdings weiß sie nicht von welchem Mann. Dazu kommt, dass sie in dieser Zeit auch noch Pawel kennen und lieben lernt, einen älteren Mann mit zwei Kindern, dessen Frau Alma in einer Nervenheilanstalt ist.
An Silvester kommt es dann zum Eklat und die ganzen zwischenmenschlichen Verstrickungen scheinen ein Ende zu finden. Doch es kommt noch schlimmer ...
"Ingrid Nolls Geschichten über scheinbar ganz normale Frauen, die zu Verbrecherinnen aus verlorenem Lebensglück werden, zeichnen sich aus durch Menschengenauigkeit, Milieukenntnis und durch eine ordentliche Portion schwarzen Humors.", so wird Nolls Stil in der Frankfurter Allgemeinen beschrieben.
Auch in "Die Apothekerin", mit Katja Riemann (1997) verfilmt, erscheint die Hauptfigur Hella Moormann zunächst einmal als ganz normale Frau, die in Erwartung ihres zweiten Kindes in einer Frauenklinik liegt. Dass allerdings doch nicht alles ganz gewöhnlich in ihrem Leben verlaufen ist, entwickelt Ingrid Noll durch das Gespräch Hellas mit ihrer Bettnachbarin in einer Retrospektive. Eine interessante Ansicht, die Entwicklung der Ereignisse als Leser zu beobachten. Die Figuren sowie Handlungsabläufe Nolls sind gut konzipiert und gezeichnet, was sich nicht zuletzt daran bemerkbar macht, dass ihre Bilder vor dem inneren Auge des Lesers lebendig werden. So auch der Sturz Margots aus dem Mansardenzimmer, den Hella wie folgt beschreibt: "Ich ließ aus einem spontanen Impuls unbeschreiblichen Ekels jählings los. Margot stürzte ab, den Fensterladen in beiden Händen."
Anstoß nehmen kann ich nur etwas an der Zuordnung des Buches in das Krimigenre. Sind denn die charakteristischen Merkmale eines Krimis in diesem Roman wiederzufinden? Morde geschehen, Täter mit Motiven, Tatorte sowie Tatwaffen existieren. Doch werden diese Morde nicht aufgeklärt; mit anderen Worten: Ein Detektiv und damit Verdächtige existieren nicht, ein Alibi ist nicht nötig und die Polizei stellt auch keine Nachforschungen an. Denn Ingrid Noll enthält sich aller moralischer Verurteilungen und lässt der Polizei und Justiz nicht den geringsten Raum für Aufklärung und Sanktion. Gewahrt bleibt allerdings das Fair play eines Kriminalromans: Durch die Ich-Erzählerin werden dem Leser keine wichtigen Informationen zur Aufklärung des Verbrechens vorenthalten, denn die Täter werden dem Leser zusammen mit den Motiven in gleichbleibendem Ton direkt mitgeliefert. Für mich zunächst etwas ungewohnt, dennoch erfüllt es seinen Zweck: schwarzen Humor, der an Zynismus grenzt.
Als missglückt empfinde ich jedoch den Schluss der "Apothekerin". Noll entwickelt die eigentliche Geschichte des Krankenhausaufenthaltes von Hella Moormann nicht bis zum Ende. Von wem ihr erstes Kind Niklas ist, bleibt offen. Gleichermaßen weiß der Leser nicht, ob Hella sich nicht vielleicht die falsche Gesprächspartnerin in ihrer Bettnachbarin ausgesucht hat. Bewusst darüber, dass Frau Hirte wohl doch besser als gedacht den nächtlichen Monologen Hellas lauschte, wird sich Hella erst, als ihr Frau Hirte ein Kochrezept der besonderen Art für Alma, die Gattin Pawels, vorschlägt: "Mett aus der Pelle drücken, zwei Gewürzkörner ganz am Ende der Wurst durch Gift im Pfeffermantel ersetzen, Farce wieder einfüllen..."
Dennoch ein gut geschriebenes Buch, das die Spannung bis zum Schluss halten kann.